Dackelrettung – Teil 2
„Wirtschaftlicher Totalschaden“. Oft das Ende eines gar nicht mal so langen Autolebens.
Aber nicht das Ende von „Harald“, meinem Dieseldackel. Ich repariere einfach selbst!
Wirtschaftlicher Totalschaden. Das war die Diagnose, die mir vom Gesellen einer Autowerkstatt mitgeteilt wurde. Mein treuer Dieseldackel Harald hätte so einige offene Baustellen und es würde 2000€ kosten, sie zu reparieren. Wenn nicht noch mehr. Ich schaute nach Alternativen, aber irgendwie mochte ich mich doch nicht von meinem treuen Alltagsgefährten trennen, nachdem er 50 000 pannenfreie Kilometer in einem Jahr schaffte. Der Entschluss fiel. Ich repariere ihn einfach selbst, um Geld zu sparen.
Die Liste war lang:
- Zweimassenschwungrad vermutlich defekt
- Querlenker beginnendes Spiel
- Ölverlust unbekannter Herkunft an Motor und Getriebe
- Kennzeichenbeleuchtung ohne Funktion (vermutlich Kabelbruch)
- Standlicht vorne links defekt
und zu guter Letzt - Motor fällt sporadisch in den Notlauf. Fehlermeldung: Ladedruck Regelgrenze überschritten – vermutlich Turbolader defekt
Im letzten Teil (Zum Nachlesen hier klicken: Dackelrettung – Teil 1 ) setzte ich die Beleuchtung vorne instand und suchte sehr aufwändig nach dem Grund, warum die Kennzeichenbeleuchtung auf einmal nicht mehr funktionierte. Der Grund war einfacher als die Werkstatt es sagte. Das gab mir Motivation. Vielleicht ist der Ölverlust und die Sache mit dem Turbolader gar nicht so schlimm? Ich bekam ein paar Tipps von Jürgen, meiner virtuellen Schrauberhilfe und auch einige von euch gaben mir Ratschläge, was mit meinem alten Diesel denn nun los sein könnte, dass er auf einmal immer in den Notlauf fallen würde. Vier Tage nach der Beleuchtungsaktion wollte ich es in Angriff nehmen.
„Der sifft selbst für seine Kilometerleistung ganz schön mit Öl. Unten ist alles voll. Getriebe und Motor. Wir müssten da mal genauer schauen, wo das Leck liegt.“
Ich bin echt froh einen Nachbarn mit einer Hebebühne und technischer Feinfühligkeit zu haben. Harald durfte auf seiner Hebebühne Platz nehmen, damit ich von unten gut an den Turbolader herankommen konnte. Beim Abnehmen des Unterfahrschutz fiel uns beiden auf – so viel Öl war da noch nie. Der letzte Ölwechsel ist noch keine zehntausend Kilometer her und da war der Motor und das Getriebe noch knochentrocken. Mein Nachbar und auch ich sind ein wenig schockiert. Einen höheren Ölverbrauch als sonst konnte ich noch nicht feststellen. Im Gegenteil. Eigentlich gar keinen. Mit einer Lampe bewaffnet machten wir uns auf die Suche nach der Ölquelle. Schließlich könnte man das ja gut nutzen. Der Motor verbraucht kein Öl, stößt aber trotzdem etwas aus – Ölkonzerne verdienen da unheimlich viel Geld mit! Ich müsste mir halt nur eine Wanne dadrunter bauen und es auffangen, ansonsten lässt es sich ja schwer verkaufen. Eins war uns klar: Das Öl kommt von irgendwo „oben“. Wir schauten unter die Plastikverkleidung. Es stand Öl in dem „Aufsatz“ des Öldeckels. Da gehört es eigentlich nicht hin. Ich hatte nichts nachgekippt und nach dem letzten Ölwechsel ist es hundertprozentig sauber gemacht worden. Auch unterhalb dieses Aufsatzes zum Ventildeckel hin schwitzte Harald etwas Öl. Genauso an dem schon recht harten Schlauch der Kurbelgehäuseentlüftung. Die Ventildeckeldichtung war (und ist) trocken – genauso wie der Rest des Motors. Ein neuer Öldeckel, ein neuer Öldeckelaufsatz und ein neuer Schlauch für die Kurbelgehäuseentlüftung und der Motor sollte wieder so trocken sein wie vorher. Eine relativ günstige Reparatur. Das motivierte mich für die Sache mit dem Turbolader.
„Wir wissen nicht, was der Turbolader hat. Wahrscheinlich ist er einfach verschlissen. 260 000 km sind ja nun auch nicht gerade wenig. Oder ist es schon der zweite Turbolader?
War und ist es nicht. Harald fährt immer noch mit dem Turbolader durch die Gegend, der ihm 2001 in Wolfsburg eingesetzt worden ist. Die Werkstatt war sich nicht sicher, was der Grund für den Notlauf war. Erst vermuteten sie Falschluft oder einen defekten Luftmassenmesser. Beides erwies sich aber als Sackgasse. Also meinten sie, dass der Turbo ausgetauscht werden müssen. Beim AXR-Motor (die 74-KW-Pumpe-Düse-Version des legendären 1.9-TDI) kein günstiges Vergnügen. Beim Zahnriemenwechsel musste ich schon merken, dass dieser Motor etwas teurer ist als andere 1.9er TDI. Der Wagen hat einen VTG-Turbolader. Neu (vom Originalzulieferer) läge der bei 800€ laut der Werkstatt – ohne Einbau. Das „VTG“ heißt „variable Turbinen-Geometrie“ oder – je nach Hersteller – „variable Turbolader-Geometrie“. Es ist ein wenig schwer in drei Sätzen zu erklären, wie genau der Turbolader nun funktioniert. Ich versuche es trotzdem einmal – in mehr als drei Sätzen.
So ein Turbolader ist ja eigentlich eine Luftpumpe. Ich lade meinen alten Diesel nicht an der Steckdose auf (wäre ja auch albern), sondern tanke Kraftstoff. Er hat einen Verbrennungsmotor. Um etwas zu verbrennen brauchen wir Sauerstoff (Wir kennen ja alle den Versuch mit dem umgedrehten Glas und dem brennenden Teelicht dadrunter). Bei meinem Harald nagelt ein Diesel unter der Haube. Dort wird der Kraftstoff erst im Brennraum mit der Luft vermischt. Der Diesel gelangt bei mir über die Pumpe-Düse-Elemente in den Brennraum, die Luft durch das Einlassventil des Motors. Bei Saugmotoren wird die Luft durch den Unterdruck, den der Kolben verursacht, wenn er sich im Zylinder nach unten bewegt, eingesaugt. Dieser Unterdruck reicht aber nur für eine bestimmte Menge an Luft. Ähnlich, wie wir nicht mehr einatmen können als unsere Lunge hergibt. Der Turbolader sorgt als ein (Luft-)Verdichter dafür, dass die Luft nicht einfach nur reingesogen wird, sondern reingedrückt wird. „Ladedruck“ nennt man sowas. Eine „Mund-zu-Mund“-Beatmung ist hier ein doofer Vergleich…
Der Turbolader, der die Luft komprimiert und somit für „Ladedruck“ sorgt -nur zur Erinnerung, wird von einer Turbine angetrieben. Diese Turbine funktioniert ähnlich wie die Windkraftanlage, die man hier an der Nordseeküste auf jedem Acker stehen sieht. Nur, dass sie anstatt von frischer Nordseeluft von Abgasen des Motors angetrieben wird. Diese Luft wird in einem „VTG-Lader“ durch „Leitschaufeln“ geführt. Die durch Unterdruck verstellt. Je nachdem, wie viel Last am Motor anliegt und wie viel Leistung über das Gaspedal gefordert wird, steuert das Motorsteuergerät über ein Ventil, wie viel Unterdruck anliegen soll. Je mehr Unterdruck anliegt, desto mehr verstellen sich die Leitschaufeln und desto mehr Ladedruck gibt es. Funktioniert diese Verstellung nicht mehr, kann es dazu kommen, dass Turbolader zu viel oder zu wenig Ladedruck erzeugt. Wie bei Harald. Zu viel Ladedruck ist für den Motor ungesund, deshalb schaltete er ab. Einige von euch gaben mir den Tipps eines „Heißklemmers“ – ein festhängedes VTG-Gestänge. Und genau das wollte ich prüfen.
Die silberne Unterdruckdose (auf den Bildern hier sieht der Turbo übrigens so „nass“ aus, weil das Gestänge schon in Rostlöser baden durfte) war schnell gefunden, das VTG-Gestänge auch. Je nach Turbolader sollte man es ein bestimmtes Maß bewegen können. Ein wenig warm war der Krümmer ja noch, als mein Nachbar versuchte es zu bewegen. Es bewegte sich keinen Millimeter. Fehler gefunden. Tatsächlich ein Heißklemmer (Vielen Dank an alle, die mir den Tipp gegeben haben!). In einer Werkstatt hätten sie an dieser Stelle wahrscheinlich auf einen neuen Turbolader bestanden. Schließlich müssen sie hier Garantie geben. Mein Nachbar baute mir schnell ein Spezialwerkzeug, gab mir noch etwas Rostlöser und schickte mich auf die Mission, das Gestänge wieder gangbar zu bekommen. Zwischendurch rief ich noch Jürgen an, wie weit ich denn das Gestänge bewegen können solle und machte mich an die Arbeit.
Gute zwei Stunden, eine große Blase am Finger, eine halbe Flasche Rostlöser, drei Liter Schweiß und zwei Liter Blut später ließ sich das Gestänge wieder leichtgängig und gut bewegen. Es war tatsächlich festgerostet. Ob ich VW mal anschreiben sollte, ob das noch auf Garantie geht? Der Wagen ist ja schließlich erst sechzehn Jahre alt. Wichtig ist, falls ihr das gleiche Problem mit eurem TDI habt – holt euch Hilfe, die etwas davon versteht. Kloppt nicht einfach darauf herum, macht den Turbolager kaputt und sagt: „Aber der Watt’n Schrauber hat gesagt…“ – das hier ist keine Reparaturanleitung. Genau deshalb stelle ich auch kein Bild des Gestänges hinein ;-).
Drei Tage später. Gut 400 Autobahn-Kilometer und zweihundert Landstraßen-Kilometer durfte Harald schon mit dem freien Gestänge genießen. Nun kam die große Prüfung, ob die Reparatur erfolgreich war: Harald musste schleppen. Drei Personen und einen großen Pferdeanhänger mit meinen neuen Schlafzimmermöbeln. Der Turbolader fiel immer nur unter Volllast in den Notlauf. Und die bekommt man, wenn man fast die zulässige Anhängelast hinter sich herzieht. Harald tat brav. Kein Notlauf. Nicht einmal ein Durchrutschen der Kupplung war zu merken. Das Zweimassenschwungrad verhielt sich auch ruhig. Das kommt erst auf die Liste, wenn es wirklich nötig tut. So lange die Kupplung noch nicht durchrutscht, werde ich auch noch nichts reparieren. Vielleicht etwas leichtsinnig, es könnte ja sein, dass das Zweimassenschwungrad um die Ohren fliegt – aber das Risiko gehe ich ein. Die Querlenker ließ ich auch noch einmal von unserem Nachbarn und einer anderen Werkstatt nachschauen – beide meinten, ich würde damit bis zur Hauptuntersuchung (im März 2018) noch locker meine Runden drehen können.
Die Reparatur ist inzwischen fast einen Monat her. Harald hat inzwischen zweitausend Kilometer mehr auf der Uhr – ohne jegliche Probleme zu machen. Er ist wieder ganz der Alte. Also fast – er ist wesentlich sparsamer geworden. Anscheinend war das Gestänge schon seit dem Kauf vor über einem Jahr nicht mehr so ganz in Ordnung.
Achja – was es mich gekostet hat? Gut 25 Cent für die Leuchtmittel, eine halbe Dose Rostlöser und einen Kasten Bier für meinen Nachbarn. Von wegen 2000€. Aber auch egal.
Harald lebt wieder!
Vielen Dank an Jürgen für die Hilfe bei der Erklärung des Turboladers!
Moin Lars
Wie immer, das was du erlebst ist üblich wenn arglose Kunden in Werkstätten kommen…..schön das du es hinbekommen hast
Zu den Querlenkerlagern rate ich dir die Version vom R32 zu nehmen:
https://www.rexbo.de/lemfoerder/lagerung-lenker-2713201?c=100572&at=12851
Gruss Michi
Hey Michi,
vielen Dank wieder für deinen Tipp und den Kommentar! Wenn die Querlenker gemacht werden (Ich schätze mal, dass ich im Dezember dabei gehen werde), werde ich auf jeden Fall die Querlenkerlager vom R32 nehmen. Macht ja Sinn – vor allem, wenn sie ein wenig länger halten. Es gibt doch auch noch einen Meyle HeavyDuty-Kit, oder? Oder verwechsel ich da etwas und es war für einen Passat?
Das Schöne am Golf ist ja, dass der sich relativ kostengünstig unterhalten lässt. Inzwischen sind gut dreitausend Kilometer seit der Reparatur vergangen – und er rennt noch immer so, wie er soll. Ich mag den Wagen echt.
Schöne Grüße
Lars
Prima das er wieder gut läuft! Ich meine die Lager wären in zwischen bei allen geändert. Evtl. sind sie beim R32 noch stabiler.
Hey Christoph,
anscheinend sind sie beim R32 tatsächlich noch stabiler. Ich werde es einfach mal ausprobieren. Der Mehrpreis ist es mir wert. Ich rechne inzwischen Reparaturen immer mit Tankfüllungen – denn am meisten habe ich bisher Spritgeld in den Golf gesteckt ;-).
Schöne Grüße
Lars
Die vom r32 sind praktisch aus Vollgummi, das Auto fährt dann spurstabiler ohne Komfortverlust
Komfortabel ist mein Golf bisher auf jeden Fall. Ich war ja damals erstaunt, wie leise der auf der Autobahn ist. Mal sehen, wie lange der noch bei mir bleibt. Wirklich gut aussehen tut er ja nicht, wie ich finde – aber das ist mir ganz egal. Da ist ja meist Laufen teurer.
Die Rüsselseuche lässt grad etwas Gestöber in deinem Blog zu, also bin ich natürlich auch hierdrüber gefallen.
Die Fehlermeldung „Reglegrenze“ ist auch gern genommen bei undichten Unterdruckschläuchen oder bei einem Hänger des dafür zuständigen Magnetventils an der Spritzwand. Wenn der Lader breit ist, hört und sieht man das meist. Das Pfeifen verwandelt sich zunehmend in ein Scheuern und der Ölverbrauch steigt massiv an, was auch unschwer an den Abgasen zu sehen und zu riechen ist.
Querlenker lagere ich auch immer selbst wieder neu,die R32-Lager sind eine gute Wahl. Dafür brauch man nur einen Meissel, ein paar grosse Nüsse und einen Schraubstock. Wenn du auf R32 umrüstest, würde ich eine Achsvermessung hinterher machen.
Die Diagnose mit dem ZMS basiert auf Geräuschen? es könnte auch vom Ausrücklager herrühren. Oder vom Limafreilauf.
Dolle Werkstatt. Hör lieber auf deinen Jürgen.
Hey Thorsten,
auf meinen Jürgen höre ich weiterhin ;-).
Für die Querlenker habe ich mir die Lager schon besorgt! 🙂 Inzwischen ist auch eine Hydraulikpresse eingezogen, die auch endlich mal entjungfert werden muss. Eine Achsvermessung ist eh bald fällig. Die Spurstangen muss neu :-).
Die Diagnose mit dem ZMS kommt von einem unanständigen Vibrieren, wenn der Motor kalt, kein Gang eingelegt und die Kupplung nicht getreten ist. Dann schüttelt sich der alte Herr manchmal wie sonstwas. Aber nur manchmal. Nicht immer… komischerweise. Ich fahre einfach weiter. Irgendwann ist die Kupplung eh fällig, bis dahin wird es schon halten. Hat sich nicht verschlimmert!
Und wenn ich nach deinen Erzählungen den Turbolader bewerte, dann hat der wohl noch ein langes Leben vor sich. Auf 10 000 Kilometern kippe ich, seit der Öldeckel neu ist, kein Öl mehr nach. Nicht einmal der Ölstand ändert sich wirklich. Ein bisschen halt, aber nicht viel. Ich hoffe, das bleibt noch lange so. Der Zahnriemen ist bald dran… aber erst einmal die HU. Da sehe ich keine großen Probleme.
Schöne Grüße
Lars
Schön, dass es wieder so gut funktioniert. In der Zwischenzeit, glaube ich, hätten sich alle orientiert. Beim R32 sind sie eventuell stabiler.