„Regen ist Gift!“
Es ist immer sehr unterhaltsam, wenn man mit einem Oldtimer durch die Gegend fährt.Heute hatte ich nämlich eine kleine Zusammenkunft mit einem wasserscheuen Herrn.
„Was geht Sie das überhaupt an?!“
Die Frau hat sich richtig in Rage geredet. Ihr Gesicht hat fast den gleichen Rot-Ton angenommen wie die nassen Haare, die ihr immer wieder in das Gesicht wehen. Ihr Streitpartner schiebt nervös seinen Rollator immer ein wenig vor und zurück. Der Kopf unter seiner braunen Schiebermütze ist so rot wie eine Tomate. Es liegt Hitze in der Luft. Zumindest zwischen den beiden. Die Frau schiebt ihre Ärmel hoch. Der Mann rückt sich seine Mütze zurecht. Beide fordern sich mit ihren Gesten indirekt zu einem Duell auf. Ich friere eher etwas. Das Eis war zwar lecker, aber keine gute Idee. Ich würde mich gerne zurück in den warmen Innenraum meiner alten Volvo-Dame „Elsa“ setzen, doch die beiden stehen vor der Fahrertür. Und das Gespräch ist zu spannend.
Ich besitze und fahre alte Autos, weil es mir unheimlich viel Spaß bringt. Sei es „nur“ das Fahren oder die Bedienung der alten Fahrzeuge oder aber doch das „Erschrauben“ der Technik im „Learning-by-doing“-Prinzip. Drei Jahre lang habe ich „Elsa“ im Carport eigenhändig restauriert und dabei mehr über Technik gelernt als aus so manchen Büchern. Ich fahre die Autos aber nicht, um mich in irgendeiner Hinsicht attraktiver zu machen (auch, wenn ich das wohl nötig hätte…) oder um damit anzugeben. Dazu habe ich auch die falschen Autos. Trotzdem – jeder Oldtimerfahrer wird mir hier zustimmen – kommt es immer wieder zu lustigen Situationen. Denn so ein altes Auto ist wie ein süßer Hund (oder ein blaues Auge): Man wird immer wieder darauf angesprochen.
Es musste heute einfach mal sein. Die alte Dame schaute mich ganz mitleidig an, als ich an ihr vorbei ging, um die Hühner zu füttern. Einige Tage stand sie nun schon wieder in der Garage, wissend, dass die Saison eh bald vorbei sein würde für sie. „Fahr mich! Fahr mich!“, schien sie mir mit ihrem dänischen Akzent zuzurufen. Zumindest kam es so in meinem Kopf an. Das Wetter war halt wirklich nicht gut genug, um die alte Dame ein wenig auszuführen. Es schüttete wie aus Kübeln. Keller liefen voll, Gräben und Weiden wurden zu Ozeanen, einige Straßen wurden überschwemmt, andere Straßen wurden zur rutschigen Matschpiste. Kein Wetter für eine alte Dänin mit schwedischen Wurzeln, die bei Platzregen immer undicht wird und ihren Kofferraum nass macht. Übrigens trotz neuer Dichtungen. Aber heute nieselte es nur.
Ich verließ gerade die Eisdiele mit ihrer unheimlich tollen Auswahl an Eis (und versuchte immer noch die Leute zu verstehen, die sich in der Eisdiele gegenüber saßen, aber anstatt sich zu unterhalten mit dem Handy spielten und dabei gar nicht bemerkten, dass ihr Eis schmolz…), als von der anderen Seite des Marktplatzes der kleinen Hafenstadt auf der Halbinsel Eiderstedt eine Frau angelaufen kam. „Moin Moin!“, rief sie mir in einem Akzent zu, bei dem ich zuerst auf das Rheinland getippt hätte. „Ich hab dich eben fahren sehen. Das ist dein Auto, oder? Darf ich ein paar Fotos machen?“
Ich schaue auf die Regentropfen, die sich auf dem Lack versammelt haben. Es sieht fast aus wie bei den Bundesjugendspielen. Disziplin: Abperl-Wettrennen. Auf dem Dach und der Heckklappe sind die schnellen, sportlichen Tropfen, die flott den Weg hinunter sprinten. Auf der Motorhaube und den vorderen Kotflügeln hocken die unsportlichen Tropfen, die eigentlich gar nicht freiwillig da sind, sondern nur, weil sie es müssen. Ich erinnere mich an meine Schul-Sport-Zeit und habe Mitleid mit denen. „Das gibt Ihnen aber noch lange nicht das Recht den jungen Mann zu beleidigen!“ schreit die Frau den älteren, kleinen Mann mit der Schiebermütze an. Anscheinend ist mein Gehirn vom Eis noch ein wenig eingefroren, ich habe gar keine Beleidigung mitbekommen.
„Ein solches Auto bei dem Regen zu fahren gehört verboten!“ Der Mann bölkt zurück und schaut mich wütend an. Seine Brillengläser, die von einem dünnen, goldenen Rahmen auf der Nase gehalten werden, sind noch nasser als meine. Ich überlege kurz, ob die Frau eine so feuchte Aussprache hatte, aber ich kann mich nicht dran erinnern auch so nass geworden zu sein, als sie fragte, ob sie Fotos machen dürfte. „Das Auto kann das ab! Das ist dafür gebaut worden!“ Die Frau schreit nun schon fast. Hinter mir laufen ein paar einzelne, wohl im Sommer von der Familie ausgesetzte Touristen vorbei und schauen mich verwirrt an. Ich zucke nur mit den Schultern, während ich mir meine Hände in die Hosentasche stecke. Mir ist langsam nicht mehr kühl, sondern schon kalt. Die Frau schiebt die Ärmel ihrer dünnen, schwarzen und offenen Jacke noch weiter hoch. Der ältere Mann schaut ihr kurz auf die Brüste. Oder auf den violettfarbenen Pullover. Beides ist wohl durch die nassen Brillengläser nur verschwommen zu erkennen.
„Ja, aber heute gibt es neue Autos für den Regen! Die Alten müssen geschont werden, die gehen sonst kaputt!“ Der ältere Herr hat seine Naturinstinkte wieder in den Griff bekommen und meckert gleich wieder zurück. Die Frau stemmt sich die Arme in die Hüften. Der Mann nimmt die Brille in die eine Hand und sein Stofftaschentuch (mit Initialien) in die andere Hand. O.W. Ich überlege kurz, wie er wohl heißen könnte. „Die alten Autos sind viel besser gebaut als die Neuen“, meint die Frau selbstsicher und klopft mit dem Fingerknöchel ihres linken Zeigefingers gegen Elsas Kotflügel. Ich hasse das ja wie die Pest. Warum müssen Leute das immer machen? Ich lecke im Restaurant doch auch nicht anderer Leute Essen ab und sage: „Das wird Ihnen aber wirklich gut schmecken!“ „Hören Sie? Das ist noch richtiges Blech! So schnell rostet das nicht!“ Sie klopft ein zweites Mal. Ich räuspere mich deutlich hörbar, beide schauen mich für eine Sekunde wütend an, sofort verliere ich ihre Aufmerksamkeit aber wieder.
„Das ist ja auch ein Volvo! Der hat so dickes Blech! Aber der rostet auch!“ Innerlich stimme ich dem Mann zu, während er sein Taschentuch wieder in die Tasche seines grauen, inzwischen echt nassen Mantels packt, aber ich komme gar nicht zu Wort. „Das Wasser geht da in jeden Hohlraum und jeden Falz! Kapillarwirkung! Das rostet schneller, als Sie hier Fotos machen können!“ Die Frau schaut ein wenig verwirrt, die rote Farbe in ihrem Gesicht wird ein wenig heller. Mit Kapillarwirkung und Blechfalzen hat sie wohl auch nicht gerechnet. Mir liegen gerade die Worte „Seilfett“ und „Versiegelung“ auf den Lippen, als sie aber plötzlich ihr Selbstbewusstsein wiederfindet und laut „Würden Sie das Auto also nicht waschen?!“ uns beiden in die Ohren brüllt. Ich denke kurz darüber nach hier und jetzt im Regen mein Auto zu waschen, so, wie ich es neulich einmal gesehen habe. Aber ich habe kein Autoshampoo und keine Bürste dabei. Vor einer Eisdiele wäre es wohl sowieso illegal.
Der Mann weiß kurz nicht, was er antworten soll. Er schaut mich fragend und gar nicht mehr wütend an. Ich zucke lächelnd mit den Schultern. Sein Gesicht wird sofort wieder dunkelrot. „Waschen ist was ganz anderes! Da spritzt das Wasser nicht von unten hoch! Außerdem – was wissen Sie beide schon über Autos!“ Die Frau lacht laut los. Ich muss an das gruselige Lachen von Figuren aus Horrorfilmen denken, die so aussehen wie ich, wenn ich morgens in den Spiegel schaue. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Oder es ist der Regen, der sich langsam den Weg zu meinem Hintern sucht. Ich fahre mir durch die Haare. Sie sind inzwischen pitschnass. „Sie wissen ja anscheinend nichts von Autos! Ansonsten würden Sie wissen, dass man die fahren muss!“ Total am Thema vorbei, so langsam finde ich den Streit nicht mehr unterhaltsam, sondern albern. Außerdem wundere ich mich, wie schnell Nieselregen die Klamotten durchnässt. Die Regentropfen, die mir den Rücken herunterlaufen, werden nicht mehr aufgesogen. „Aber doch nicht bei Regen! Regen ist Gift!“
Der Regen läuft mir immer weiter den Rücken runter und ich habe das Gefühl, dass ich an diesem Tag nicht mehr aufhören werde zu frieren. Der Wind pustet mir durch die nassen Haare und lässt sie noch strubbeliger werden, als sie es sonst schon sind. Ich räuspere mich kurz. Ich habe den beiden schon längere Zeit nicht mehr zugehört, sie beschimpfen sich aber immer noch. Ich höre irgendwas von Schnee, von Küchen, von kleinen Menschen mit roten Zipfelmützen und Tieren, die Milch geben. Es kann nicht mehr um Elsa gehen. Sie haben mich nicht gehört. Ich räuspere mich noch einmal. Beide schauen mich erstaunt an. „Darf ich nun weiterfahren?“, frage ich vorsichtig. „Bei dem Regen?“, meckert mir der ältere Herr sofort in das rechte Ohr, als ich beide ein wenig zur Seite schiebe und die Fahrertür aufschließe. Meine Jacke ist durchnass, ich ziehe sie aus und lege sie in den Beifahrerfußraum. „Aber natürlich, sonst wird der Wagen ja noch nasser – oder bekommt Standschäden!“ Ich drehe am Zündschlüssel. Elsa springt sofort an. Ich mache die Tür zu und schalte den Scheibenwischer an. „Sie wollen uns wohl auf den Arm nehmen!“ „Eine Frechheit ist sowas, oder?!“, fragt der Mann erbost die böse auf mich schauende Frau. Sie haben mich verstanden. Ich lege den ersten Gang ein und rolle mit Elsa los. „Sowas Ungehobeltes!“ höre ich sie noch sagen.
Ich sehe sie noch fluchend im Rückspiegel. Schlussendlich waren sie sich ja anscheinend doch noch einig. Junge Leute haben keinen Respekt vor älteren Herrschaften. Ich streichle Elsa lachend über das Lenkrad, während sie mit ihren Scheibenwischern quietschend lacht. Anscheinend fand sie den Kindergarten auch lustig. Ein Glück gehört Elsa mir und ich mache mit ihr, was ich möchte.
Sie macht sich keine Gedanken darüber, ob ein altes Auto auch mal im Regen fahren darf oder nicht. Es gibt ja auch Wichtigeres, wie ich finde. Ob Elsa Weißwandreifen bekommen sollte, zum Beispiel. Da bin ich mir nämlich noch unsicher.
Ob ich wohl noch einmal umdrehen und die beiden nach ihrer Meinung fragen sollte?
Na das ist ja eine Begegnung gewesen. Ich finde unsere Oldtimer sind zum Benutzen da. Etwas Regen wird die nicht zerstören. Klar Winter muss nicht sein. Die Autos zu Trailerqueens zu verdonnern mag ich nicht. Ich kenne da welche die drehen bei der ersten Regenwolke um und verschwinden in der Garage.
Hey Christoph,
ja, das war wirklich… eine besondere Begegnung. Besonders passt wohl wirklich. Ich bin da ganz deiner Meinung. Oldtimer sind Autos, Autos sind zum Fahren da. Man kann zwar schon ein wenig besser auf sie aufpassen, als man es vielleicht mit dem Alltagsauto macht – aber vergöttern? Dazu sind die meisten Autos doch eigentlich noch nicht „besonders“ genug, oder?
Schöne Grüße
Lars
Geht mir genauso wie Euch, die Kisten waren serienmässig mit Regenwischer ausgerüstet. Ich fahre sogar im Winter wenn es trocken ist. Aber der alte Herr hätte meinen 75er Pontiac wohl nicht mit soviel Inbrunst verteidigt. Den man weiss ja, nur wegen den Amis gehorcht uns das Klima nicht mehr 😀
Lars, der Axel mit den Springerstiefeln vergass ganz zu erwähnen, dass Du ein hervorragender Geschichtenschreiber bist. Das hätte ich definitiv für erwähnenswert gehalten. 🙂
Hey Marc!
Im Winter fahre ich meine „Alten“ dann doch nicht. Dazu betreibe ich zu viel Aufwand mit dem Einwintern, bis die dann wieder fit sind, brauche ich schon einige Zeit. Umso größer ist dann die Vorfreude auf den Frühling :-).
Hervorragender Geschichtenschreiber? Hui… dann für das Lob. Das geht ja runter wie Leichtlauföl ;-). Dass mein Schreibhobby nicht erwähnt wurde, kann ich ja irgendwie verstehen. Ging ja um das Schraubhobby. Ich bin mit dem Artikel sehr zufrieden und fühle mich extrem geschmeichelt ;-).
Schöne Grüße
Lars
Hoi Lars
Mein Aufwand zum Einwintern ist in den letzten Jahren drastisch geschmolzen. Volltanken, etwas mehr Druck in den Reifen und Batterie ausbauen (und ans Ladegerät), das ist alles. So ein Auto ist schnell mal einsatzbereit. 🙂
Stimmt auch wieder, schliesslich bist Du ein Konkurrent von Axel im Wettbewerb um die besten Geschichten bzw. um die Leser. 🙂
Grüsse aus dem tiefen Süden
Marc
Hey Marc,
wobei – so viel mehr mache ich meist auch nicht. Noch n öligen Lappen in den Vergaser und in den Auspuff, den Chrom reibe ich mit Hartwachs und einer Öl-Fett-Mischung ein und ich stelle Kaffeepulver oder einen Entfeuchter in das Auto. Das war es. Schimmel finde ich nämlich echt eklig ;-).
Konkurrent? Achwas. Da sitzen Leute, die sind acht mal so kreativ wie ich. Ich bin hier nur einer, der ein bisschen was schreibt, um nicht so viel über Autos zu reden ;-).
Schöne Grüße
Lars
Schimmel ist eklig, absolut einverstanden. Trotzdem, Chapeau, Du machst Dir (noch) mehr Gedanken übers Einwintern. Seit ich die Autos teilweise auch an trockenen Wintertagen hervornehme, lohnt sich der Aufwand nicht mehr.
8mal so kreativ wie Du? Am ehesten bei der Autobild Klassik ja, da ist die Themenvielfalt grösser als bei der Konkurrenz. Aber ich mag die Abwechslung von Bloggern, da kommen ganz andere Themen zur Sprache als in der gedruckten Presse.