Tschüss Alltag, Hallo Abenteuer.
Immer dem Schnurrbart nach. Zwei neugierige, junge Leute wollen die Welt erkunden.
Dieser Roadtrip entwickelte sich zu einem Abenteuer. Fangen wir mal vorne an. Tag 1.
Es ist grau. Und stürmisch. Und irgendwie stinkt es nach Dieselabgasen. Um uns herum laufen die verschiedensten Menschen. Einige laufend rauchend über das Deck der Fähre und sehen so aus, als hätten sie sich ihren Kleidungsstil aus irgendeiner RTL_II-Doku-Soap abgeschaut. Andere sind ein wenig blass um die Nase und gehen zum Heck, um auf den Horizont, also eigentlich das Elbufer, zu schauen. Eine Dame läuft mit mehreren Kissen und einer dicken Decke bepackt wütend von einem Auto zum anderen. Und wir sitzen mittendrin. Fools Garden begleitet musikalisch mit „Lemon Tree“ die ganze Szenerie, die wir durch die Frontscheibe beobachten. Wir singen laut mit. Der Beginn unserer Reise liegt gerade einmal eine Stunde oder so zurück, doch die Laune ist bestens. Als letztes Auto wurden wir noch auf die Fähre gelassen. Ein Mann schaut gnatschig durch die Seitenscheibe meines alten, roten Kombis und sieht unsere gute Laune. Wir müssen laut lachen.
Ach, wie schön ist Reisen.
„Immer dem Schnurrbart nach!“ ist nicht nur das Motto des Roadtrips, sondern auch der Titel des Prologs, in dem ich die Gründe für diese Reise beschrieben habe. Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Wir wollen etwas anderes sehen. Wir sind zu dritt, nein, eigentlich sogar zu viert. Zum einen ist da Harald, unser Reisemobil. Unsere Wahl fiel auf meinen treuen, alten Kombi, weil er als Diesel zum einen sparsam ist (und Studenten haben ja nie Geld) und zum anderen viel Platz bietet und bisher immer zuverlässig war. Dann ist da noch mein kleiner Stoffigel, der als Glücksbringer in meiner Mittelkonsole wohnt, noch keinen Namen hat und die Zeit über eigentlich keinen Urlaub machen sollte… Auf dem Beifahrersitz sympathisch lachend sitzt Pippi Langstrumpf. Also nicht wirklich. Eigentlich heißt die junge Dame Jule, hat aber mit ihrer optimistischen Lebenseinstellung einem Gewohnheitstier wie mir einen großen Tritt in das richtige Körperteil gegeben, um mal zu Reisen. Außerdem hat sie Halstabletten dabei – nur für den Fall, dass wir wieder zu viel singen. Das ist im letzten Jahr auf so mancher Fahrt passiert. Und am Steuer? Da sitzt so ein komischer Kerl mit zerzauster Frisur. Er nennt sich Watt’n Schrauber (oder Lars) und kann eigentlich nichts. Außer sich freuen. Darüber, dass er endlich einmal Urlaub macht und dem Alltagstrott entflieht.
„Wischhafen“ nennt sich der Ort, in dem die Fähre mit einem Ruckeln anlegt. Sofort stürmen alle, die eben noch auf dem Deck herumliefen, zu ihren überladenen Minivans und tiefergelegten Kleinwagen, schmeißen vor dem Einsteigen noch ihre Zigarettenkippe über Bord und starten ungeduldig die Motoren. Wischhafen liegt übrigens irgendwo in Niedersachsen an der Elbe, also eigentlich gar nicht in der Nähe unseres Ziels. Unser Ziel sind nämlich die Niederlande. Dort wollen wir die nächsten viereinhalb Tage ein bisschen Land und Leute erkunden. Unsere Übernachtungsmöglichkeiten sind gebucht und bezahlt – viel mehr Planung haben wir nicht. Doch: Wir wollen keinen Stress. Genau deshalb sind wir auch nicht über Hamburg gefahren, sondern über die Fähre. Vor Wut im Stau kochen können die anderen. Unsere Reihe fährt los. Ich starte den Motor, Harald schüttelt sich einmal freundlich. „Treckern“ nennt Frau Langstrumpf, die übrigens natürlich nicht so aussieht wie die Namensgeberin mit dem kunterbunten Haus, das. Irgendwie fühlt es sich heute noch freudiger an als sonst. Ob sich Autos auch auf einen Urlaub freuen können? Bestimmt. Gerade, wenn sie einen Schnurrbart haben. Wir fahren von der Rampe runter. Harald bekommt niederländische Straßen unter seine Räder.
Und wo entlang genau geht es nun in die Niederlande?
„Dreh um, dreh um! Hast du das Nashorn da gerade nicht gesehen?!“ Frau Langstrumpf stippt mir in die Rippen. Wir sind irgendwo in Ostfriesland. Ich weiß gar nicht mehr, wo genau, seit mein neues Navi auf Niederländisch mit mir spricht. „Bram“ heißt die Stimme und geht mir ein wenig auf die Nerven, wenn er Kreisverkehre ansagt. Aber immerhin lernen wir so schon mal ein bisschen die Sprache. Ich drehe auf einem Supermarktparkplatz um, grüße einen älteren Herrn mit einem Rollator, der beim Zurückgrüßen freundlich lächelnd kurz seinen Hut anhebt und fahre zurück. Und da: Tatsache. Ein Nashorn in Ostfriesland? Da muss man ja den Zeitungen Bescheid sagen!
Ein bisschen eingerostet war das Gute ja. Und ein wenig müde. Aber kein Wunder, bei dem Wetter schickt man ja auch kein Nashorn vor die Tür. Sofort kommt mir das Gedicht von Heinz Erhardt mit „Ein Nasshorn und ein Trockenhorn…“ in den Kopf und ich sage es laut auf. Nicht nur der kleine Stoffigel auf der Mittelkonsole schaut mich verwirrt an. Es ist wohl besser, über die herrlich leeren Landstraßen weiterzufahren. Vorbei an frisch gestochenem Torf und Reetfeldern. Zwischendurch blitzt sogar die Sonne mal durch die Wolken. Im Sekundentakt setzten wir unsere Sonnenbrillen auf und wieder ab. Das Urlaubsfeeling wird immer stärker. Bram erzählt mir, ich solle „de naaste rechts afslagen“.
Ein Glück hält „Bram“ auf der Autobahn die meiste Zeit seinen Schnabel. Außer ich fahre mal kurz zu schnell, man kommt in die Nähe eines Blitzers oder eines Unfallschwerpunktes. Genau dann quakt er los wie eine Ente. Ich überlege kurz ihn in Alfred umzutaufen (oder ihn aus dem Fenster zu werfen), unterhalte mich aber dann doch lieber mit Frau Langstrumpf. Ein Navi hat nicht Alfred zu heißen. Die Grenze ist nicht mehr weit, fast haben wir Deutschland hinter uns gelassen. Gut fünf Stunden sind wir nun schon unterwegs – und wir fühlen uns alle nicht müde. Harald läuft ruhig und sparsam wie immer, der Igel schläft hinter unseren „Gut-und-günstig“-Wasserflaschen, Frau Langstrumpf und ich unterhalten und noch aufgeregt über einen Wohnmobilfahrer aus Kiel, der uns nach einer kurzen Pinkelpause nicht mehr auf die Autobahn lassen wollte. Pfosten gibt es halt überall. So langsam empfängt das alte Kassettenradio rauschend die ersten niederländischen Wortbrocken. Zum Glück wird nicht von Kreisverkehren gesprochen. Es folgt ein Tunnel nach dem nächsten. Die Grenze rückt näher. Wir werden ein wenig nervös vor Freude. Und irgendwann das Schild:
„Welkom in Nederland“
Es sind noch einige Kilometer nach „Heerhugowaard“, unserem Zielort. Dort gibt es eigentlich nichts besonderes. Als Attraktionen werden im Internet Kanufahren, Angeln und Schwimmen angegeben. Wir fanden einfach nur den Namen toll. Ein „sfeervolle Hooiberg“ wartet da auf uns. Ein athmosphärischer Heuhafen. Oder anders: Ein umgebauter, gemütlicher Heuschober. Nur sind wir nicht in Heerhugowaard. Wir sind irgendwo in Joure – und meine Laune ist nicht mehr so gut wie vorhin. Um einen Kreisel sollte ich fahren, meinte Bram. Die dritte Abfahrt. Nur wird in Joure gebaut. Vier Mal sind wir nun schon an dieser Stelle vorbeigekommen – und kommen nicht in die richtige Richtung. Der Kreisel fehlt, laut ihm fahren wir über einen Acker. Entweder wir fahren in Richtung Amsterdam – oder in Richtung Groningen. Amsterdam ist noch nicht dran und nach Groningen will ich nicht wieder, da haben wir eben gefühlt ewig im Stau gestanden. Nur „Zurich“ wird nirgendwo aufgelistet. Frau Langstrumpf stopft mir ein paar Frikadellen, Wurstbrot und Schokolade in den Mund. Ich bin noch nicht gnatschig, aber genervt – da hilft Essen immer. Wir halten bei einem Supermarkt an. Frau Langstrumpf schaut kurz auf die Karte ihres Handys und findet eine Alternativroute, die auch auf den Schlag funktioniert. Ich bin froh, dass sie meine Beifahrerin ist und überlege noch einmal kurz, wie gut so ein Navi eigentlich aus der Seitenscheibe fliegen könnte… Den Gedanken bekomme ich nicht zu Ende. Nach dem „Wendler“ spielt nun Matthias Reim im Radio. „Verdammt ich lieb dich.“ – Wer hätte gedacht, dass in den Niederlanden gerne deutsche Schlager gespielt werden? Frau Langstrumpf ist der DJ der Reise. Sie stellt nicht weiter. Ich nehme einen Schluck von meinem günstigen Mineralwasser und wir singen los. So laut es geht.
Es ist inzwischen stockdunkel, als wir die E22 passieren. Als großer Damm, auch „Afsluitsdijk“ genannt, trennt sie die Nordsee vom Ijsselmeer. Eigentlich wollten wir hier eine kurze Pause machen, denn die Straße sah im Internet recht schön aus. Aber es ist dunkel und stürmisch und es regnet. Außerdem ruft der Heuschober, wir haben schon knapp über eine Stunde Verspätung. Und nach Heerhugowaard ist es schon noch eine schöne Strecke. Wir schenken uns die Pause, auch wenn die vielleicht gut tun würde. Zumindest sind die Kilometer, die wir noch fahren müssen, nur noch zweistellig. Frau Langstrumpf und ich unterhalten uns über die kommenden Tage und was man denn so machen könne. Natürlich planen wir nichts, wir wollen spontan sein – und uns keinen Stress machen. Ab und zu unterbricht Bram uns, weil er meint, ich wäre zu schnell. Das ist eigentlich gar nicht möglich, denn der Wind hat inzwischen so richtig Power bekommen. Nicht gerade wenig zerrt er an „Harald“, der sich trotzdem ruhig nagelnd gegen den Wind stemmt. Trotzdem ist es mehr Segeln als Fahren. „Pustet der Wind auch unter das Auto?“ Auch Frau Langstrumpf hat es bemerkt. Es lässt sich wirklich doof fahren. Auch der Regen klatscht inzwischen horizontal auf die Frontscheibe. „Hoffentlich wird die nächsten Tage das Wetter besser“, höre ich vom Beifahrersitz und kann ihr nur recht geben. Der kleine Igel schaut leicht verschlafen zwischen den Wasserflaschen hervor in die Dunkelheit.
„Bestemming bereikt.“
Nach sieben Stunden Fahrt begrüßt uns Hendrik und zeigt uns unser Nachtquartier. Ein kleines Häuschen, das eigentlich einmal als Heuschober gebaut wurde, ganz am Ortsrand von Heerhugowaard, gelegen zwischen einer Weide und einem Feld. Mit einem gemütlichen Bett, einer kleinen Kochnische, einem Bad mit warmer Dusche und einem Dach über dem Kopf. Genau das, was wir brauchen. Wir laden noch ein paar Sachen aus dem Auto, wünschen dem Igel und Harald eine gute Nachtruhe und sperren den Sturm hinter uns aus.
Die Doku über die Fischstäbchenherstellung ist schon lange vorbei, ein kleiner Post auf der Watt’n Schrauber-Facebook-Seite ist auch schon lange abgesetzt, als wir uns so langsam müde werden. Der Wind und der Regen spielen uns ein Schlaflied. Manchmal hört es sich ein wenig aggressiv an, fast wie Metal. „Hoffentlich geht es Harald gut!“, höre ich Frau Langstrumpf sagen.
Ich freue mich. Über die Aussage, über die Fahrt und den Urlaub. Zufrieden kuschel ich mich in die Kissen und schließe die Augen. Schließlich haben wir morgen mehr vor als nur mit dem Auto zu fahren.
Amsterdam? Wir kommen. Also renn‘ lieber weg.
Prolog zur Reise: Immer dem Schnurrbart nach
Teil 2 der Reise: Komm, Wir Segeln Nach Amsterdam
Moin
Wischhafen ist noch nicht in den Niederlanden… Niedersachsen heißt das da 😉
Hey Andreas,
das weiß ich doch 😉 Ich wohne zwar hinter dem Deich, aber so viel weiß ich von Geographie dann doch noch. Die Fährüberfahrt war übrigens klasse!
Schöne Grüße
Lars
Das mit „gut&günstig“ ist für mich als Ausländer pures Deutschland 🙂 es darf nichts kosten, muss aber von bester Qualität sein. Mein Grossvater wuchs „draussen“ auf und erzählte auch gerne von den „guten und günstigen“ Restaurants 🙂
Dein Artikel hat mich mit einem Schmunzeln wieder dran erinnert, danke 🙂
Eure Reise scheint Spass gemacht zu haben! 🙂
Hey Marc,
die Reise hat wirklich Spaß gebracht!
Gut&Günstig ist eigentlich eine Marke, die ich nicht so bevorzuge. Aber sie war halt gerade da ;-). Aber ansonsten kann ich mich von einer gewissen Sparsamkeit natürlich auch nicht absprechen. Das steckt halt so drin… aber ansonsten könnte ich mir auch den Luxus des Fuhrparks nicht leisten :-).
Schöne Grüße
Lars
Fünf Stunden auf Golf-Sitzen überlebt? Du bist schon ein harter Knochen…
Ich bin ein Jung von der Küste, denen wird doch immer eine gewisse Härte nachgesagt! 😉
Nee, wirklich. Schlimm sind die Sitze nicht. Vollkommen okay!
Dann hast Du noch nie gute Sitze erfahren.