Die Generalprobe.
Was macht man mit einem Auto, an dem man drei Monate geschraubt hat? Ganz genau. Einen Tag nach Fertigstellung macht man einen Roadtrip. 1300 Kilometer in zwei Tagen.
Ich muss euch ja mal ein kleines Geständnis machen.
Ich bin noch nicht wirklich viel herumgekommen in meinem Leben. Abgesehen von Klassenfahrten, Tagestrips und einem kleinen Austausch, der mich mal nach England brachte, bin ich erst zwei Mal so richtig gereist. Das erste Mal war mit achtzehn. Der Elch stand schon länger vor der Tür und die Zeit des begleiteten Fahrens war auch endlich vorbei. Die neue Freiheit wollte ich nutzen – und so wurde Kopenhagen erkundet. Selbst ein kleiner Abstecher nach Schweden war damals drin. Die nächsten vier Jahre passierte dann in Sachen „Urlaub“ und Reisen nicht mehr viel. Neben Abi, Studium, zwei Umzügen, Arbeit und der Pendelei blieb dafür weder Zeit noch Geld. Wie das halt so ist. Dass sich das aber ändern müsste, zeigte mir der kleine Roadtrip im Januar, auf den ein paar Wochen später ein „kleiner“ gesundheitlicher Schlag folgte. Ich hatte mir fest vorgenommen, endlich einmal mehr von der Welt sehen zu wollen und neue Leute, Gegenden, Kulturen und Gebräuche kennenzulernen. Einfach mal aus dem Alltag herausbrechen. Frei sein.
Und genau dafür kaufte ich mir Hein.
Eigentlich hätte ich die kleine Geschichte hier auch „Jungfernfahrt“ nennen können. Fast drei Monate lag der alte Kahn im Trockendock. In diesen drei Monaten (vielleicht habt ihr es ja verfolgt) überholte ich mit viel Gefluche, viel vergossenem Blut und Schweiß das total ausgelutschte Fahrwerk, die fast schon lebensgefährlichen Bremsen, ließ beim Schweißen keinen Knochen heile und machte auch mal im Innenraum so richtig klar Schiff. Nach so einer (für mich) doch relativ langen Standzeit bin ich dann in Sachen Auto eigentlich eher vorsichtig und mache erst einige kleinere Touren, um zu sehen, ob ich dem Wagen vertrauen kann oder sich irgendwas kaputt gestanden hat. Nur bei Hein entschied ich mich, ihn kurz zu waschen, vollzutanken und mich dann auf den Weg nach Hessen zu machen. Die beste Probefahrt für ein Roadtrip-Auto ist ein.. äh.. Roadtrip.
Am Morgen des 23.06.2018 legten wir ab. Hein nicht ganz komplett und nicht wirklich erprobt und ich überhaupt nicht vorbereitet. Also genau die richtigen Voraussetzungen.
Das Ziel vor den Augen dem Stern.
Laut Navi lagen gut 500 Kilometer vor uns, als ich Hein auf die Autobahn lenkte. Unser Ziel? Der Edersee in Nordhessen. Nicht etwa, weil das der drittgrößte Stausee in Deutschland ist oder ich bisher noch nie in Hessen war, nein. Ich wollte das Forumstreffen des Fusselforums besuchen. Das war zwar schon einige Tage in Gang, aber leider konnte ich es früher nicht schaffen. Ab und zu muss ja auch mal ein wenig Geld in die Kasse kommen. Schon lange stöbere ich regelmäßig im Fusselforum in Geschichten, die von automobilgelebter Kreativität, Reisegeschichten und verrückten Aktionen geprägt sind. KLE, der Macher des Fusselblogs hat es geschafft ein Forum auf die Beine zu stellen, das aber nicht nur virtuell funktioniert. Auch offline ist das Forum recht stark aktiv. In Zeiten von Rumgenöle, Hasskommentaren und Netflix nicht selbstverständlich.
Ein bisschen nervös war ich ja schon.
So richtig lange Strecken hatte ich mit Hein nämlich noch nicht zurückgelegt – wobei ich davor eigentlich auch keine Angst hatte. Eher war ich ein wenig nervös, ob meine Reparaturen alle durchhalten würden. Ich bin zwar ziemlich gewissenhaft bei allen Sachen, die ich am Auto mache, werde von einigen Freunden aber auch als „Autohypochonder“ bezeichnet. Und vielleicht kann ich mich von diesem Titel auch nicht ganz freisprechen. Obwohl ich wusste, dass ich alle Schrauben doppelt und dreifach mit dem richtigen Drehmoment angezogen hatte, rollte ich mit etwas mulmigen Gefühl über die A23 und war froh, dass nicht viel los war. Sollte mir hier ein Rad abfallen, würde es hier nicht im Chaos enden.
Doch meine Sorgen waren unbegründet.
Die ersten einhundert Kilometer vergingen wie im Fluge. Anscheinend hatte Hein es endlich kapiert, dass ich es gut mit ihm meinte. Zumindest machte es bis hierher den Anschein. Das Fahrwerk machte keine Poltergeräusche mehr, auch alle Räder blieben dort, wo sie sein sollten. Um Motor, Getriebe und Differential machte ich mir weniger Sorgen. Ich war zwar nicht mehr dazu gekommen, das Getriebeöl und das Differentialöl zu wechseln, aber da beide noch leise ihre Arbeit verrichteten, machte ich mir keine großen Sorgen und entschloss mich den Ölwechseln erst nach dem Roadtrip zu machen.
Durch Hamburg lief es recht flüssig. Anscheinend ist es eine gute Zeit, samstagmorgens durch den Elbtunnel fahren zu wollen. Es waren zwar schon einige Autos unterwegs und die hatten sich auch schon zu einem Stau versammelt – aber das war auf der Gegenfahrbahn. Ein wenig gehässig lachend rollte ich gemütlich an den genervten Gesichtern, die eigentlich alle nur flüssig in Richtung Norden fahren wollte. Da war ich mir noch sicher, dass mir das nicht passieren würde. Schließlich würde morgen Abend ja Deutschland ein WM-Spiel haben. Und da wären die Straßen ja wunderbar frei…
Aber Hochmut kommt vor dem Fall.
Kurz vor Hannover sagte mein Navi (von dem ich immer noch nicht verstehe, warum ein Gerät, das einem zu 95% einfach nur den schnellsten Weg zum Ziel zeigen soll, achthundertfünfundfünfzigtausendsiebenhundertdreiundzwanzig andere Funktionen haben muss, aber zum Beispiel nicht anzeigt, wo die nächste Toilette ist…), dass ich von der A7 abfahren sollte. Anscheinend hatte es in einer Baustelle einen Unfall gegeben und die Landstraße wäre der schnellere Weg. Eigentlich ist es ja nicht gut, immer das zu tun, was einem gesagt wird – aber trotzdem fuhr ich von der Autobahn runter. Meine rebellische Seite musste ich einfach einmal ausleben.
Scherz beseite. Früher oder später hätte ich eh die Autobahn verlassen, weil mir langweilig geworden wäre. Autobahnen sind schön, um möglichst schnell und ohne große Hindernisse (gut, solange die Autobahn nicht „A7“ heißt…) von A nach B zu kommen. Und wenn ich meine täglichen Autobahntouren mit meinem alten Golf Kombi mache, dann freue ich mich darüber. Aber im Urlaub möchte ich gerne Dinge entdecken. Und das geht am besten auf Landstraßen. Komischerweise hatte anscheinend kein anderes Navi diesen Umweg gewählt – und so fuhren Hein und ich ziemlich alleine über die Landstraßen Niedersachsens. Und nach gut einer Stunde Fahrt, tausenden von Kreuzungen, einer gesperrten Straße, dem kompletten Verlust meines Orientierungssinnes und dem dreimaligen Durchfahren ein und derselben Ortschaft, fiel mir dann auch wieder ein, warum ich Navigationssysteme so hasse. Anscheinend hatte sich die Software aufgehängt, ist kurzfristig in den Urlaub gegangen oder musste so dringend pinkeln wie ich. Nach einem Neustart vom Navi (und einer kleinen Pinkelpause) konnte ich meine Fahrt dann wieder in die richtige Richtung aufnehmen. Ich werde nie mehr über Leute lästern, die sich dank ihres Navis verfahren haben. Ich verspreche es. Erst einmal.
Ein paar Stunden später war ich schon fast am Edersee.
Die Autobahn hatte ich schon lange verlassen, denn „Vöhl“, wie mein Ziel hieß, liegt echt mitten im… naja, „im Nichts“, kann man nicht wirklich sagen. Aber eine Autobahn ist zumindest nicht in unmittelbarer Nähe. Das erste Mal kam ich als Flachländer in den Geschmack, über Berge zu fahren. Dank meines Navis (Wie oft kann ich eigentlich meine Dummheit noch auf das Gerät schieben? Kauft ihr mir das noch ab?) wurde ich nämlich wieder über eine kleine Nebenstrecke mit vielen Serpentinen geschickt. Und als jemand, der Serpentinen nur aus dem Fernsehen oder von Bildern kennt, war das eine ziemliche Überraschung. Allem voraus die erste von vielen Haarnadelnkurven. Bis hierher dachte ich noch, dass man nach einem „70-Schild“ wohl auch mit siebzig weiter fahren könnte – und vor einem Abhang wohl eine Leitplanke stehen würde… Wahrscheinlich hallt das Echo des Quietschens meiner Reifen heute noch nach…
Ein wenig seekrank von der Schaukelei durch die Kurven (so ein Mercedes ist wirklich so fahrdynamisch wie die Queen Mary 2..) kam ich dann viel später als geplant beim Campingplatz am Edersee an. Ehrlich gesagt hatte ich die Strecke auch ein wenig unterschätzt – ich war total am Ende. Trotzdem wurde es unter den Fussel-Leute ein richtig schöner Abend. Zu viel möchte ich euch natürlich nicht verraten – schließlich sollt ihr euch das Forum auch einmal wirklich anschauen. Auch wenn viele Hochglanzpolierer die Nase rümpfen – seien wir doch mal ehrlich. Originale Autos gibt es doch eigentlich fast von jedem Exemplar mehr als genug. Warum sollte man sich also nicht an einem Auto einfach mal frei ausleben? Genau. Es gibt kein Argument dagegen. Ich fands richtig klasse – verwarf meine kurz in den Kopf geschossenen Pläne für Hein aber dann doch wieder. Irgendwann möchte ich den doch auch einmal wieder verkaufen…
Willkommen zu Hause.
So ganz konnte ich dem Werbespruch aus den 90ern von Mercedes nicht nachfühlen, als ich mich am nächsten Morgen wieder auf den Weg in Richtung Heimat machte, denn so ganz ausgeschlafen war ich nicht. Nach der für mich schockierenden Nachricht, dass Deutschland doch nicht am Tag meiner Rückreise spielen sollte, sondern kurz nach meiner Ankunft am Campingplatz, vergaß ich irgendwie mein Zelt aufzubauen. Und als ich schlafen gehen wollte, war es schon zu dunkel. Also musste die Rückbank herhalten. Es wurde nun nicht die gemütlichste Nacht, da ich aber eher zu den kleineren Arten der Gattung „Mann“ gehöre, klappte das doch einigermaßen angenehm. Und auf der A7 hatte ich ja noch genügend Zeit, mich irgendwie wieder gerade zu biegen.
Die Rücktour verlief wieder wirklich problemslos. Abgesehen von den typischen rasenden Audis und den schleichenden Renaults auf der Mittelspur, kam es zu keinen besonderen Vorfällen. Zwischendurch verließ ich die Autobahn und fuhr über Bad Gandersheim in Richtung Hildesheim. Irgendwo zwischen den beiden Orten wohnt nämlich Thorsten – und den wollte ich besuchen. Thorsten, der im Fusselforum unter dem Namen „weichei65“ unterwegs und ein begnadeter Autoschrauber ist, hatte mir vor zwei Jahren nämlich unheimlich tolle Tipps beim Kauf von Harald gegeben. Und da Harald sich dank der Tipps als zuverlässiger Wagen herausstellte, wollte ich mich mit einem Sixpack Bier bedanken – das ich aber blöderweise Zuhause stehen ließ. Schöne Grüße an Thorsten noch einmal an dieser Stelle – das Bier reiche ich noch einmal nach! Nach gut zwei Stunden Benzingesprächen, einem Schluck Wasser für mich und einem Schluck Wasser für Hein (Anscheinend hatte er sich nun das erste Mal nach dem Thermostatwechsel so richtig entlüftet), machten wir uns wieder auf den Weg.
Ein weiterer kleiner Stau – und einige Umleitung dank zweier Unfälle – ließen mich gegen 20 Uhr durch den Elbtunnel rollen. Hein hatte sich wirklich tapfer geschlagen – und war dank meiner entspannten Fahrweise (Reisetempo 100) mit 6,8 Litern Super auf 100 Kilometer wesentlich sparsamer, als ich es mir erhofft hatte. Einige Baustellen wollte ich aber noch beheben. So fiel das ABS auf der Reise wieder aus, mit offenen Fenstern bollerte der Fahrtwind mächtig im Innenraum und das Radio hatte keinen Empfang. Die ganze Reise über hörte ich nur „Ray Charles“ – das war der einzige Name in der CD-Grabbelkiste im Elektroladen, der mir was sagte – und die Musik hing mir nach gut 1300 Kilometern wirklich aus den Ohren raus.
Aber das waren ja wirklich nur noch Kleinigkeiten. DIe Generalprobe hatte Hein mit Bravour bestanden. Einer langen Tour stand nun nur noch eine frische Hauptuntersuchung im Wege. Und gute Musik.
Nur mit dem Navi müsste ich noch einmal ein ernstes Wörtchen reden…
Krrrrööööööööööteeeee!!!!!!!
<3 <3 <3
„Die schönste Art Mercedes zu fahren“ 😉
Sehr schöner Reisebericht! Da bricht glatt Neid aus.
Das ist ja der pure Wahnsinn mit den 6,8 Litern, da muss sich so manch modernes Fahrzeug in den Dimensionen trotz Downsizing, 150.000 Computern, anfälligen Abgasrückführungen die kaum den ersten Ölwechsel erleben mächtig strecken, um da mitzukommen.
Man sieht mich begeistert!
Hey Maik,
vielen Dank für deinen Kommentar!
Man muss hier noch erwähnen, dass Hein die 6,8 Liter auf billigen Winterreifen geschafft hat – wenn ich nun Sommerreifen für den alten Kahn hätte, wäre er vielleicht sogar noch ein ganzes Stück sparsamer gewesen. Oder zumindest ein bisschen 😉
Der nächste Reisebericht ist auch schon online. Da war Hein mit 7,1 Litern aber nicht ganz so sparsam. Hihihi 😉
Schöne Grüße
Lars
Hab ich doch gesagt, das er durchhält, halb Afrika kann nicht irren. Bei artgerechter Fahrweise (Mercedes…) sind übrigens die W123 als 230E auch nur rund einen Liter versoffener. Verbräuche unter 7l sind keine Erfindung der Neuzeit. Das ging in den 60ern schon im R4 oder….
Ich hab übrigens grad den „Buckel ohne Buckel“ in der Mache. Ein PV kann auch mit Rahmen drunter richtig Spass machen. Aber hast du ja bestimmt schon gelesen.
Danke für die Blumen übrigens, bist hier immer willkommen!
Hey Thorsten,
ich glaube, einen Mercedes mag man gar nicht schnell fahren. Wirklich dazu einladen tun sie zumindest nicht.
Den Buckel ohen Buckel habe ich natürlich gesehen – wunderbares Auto! Ich bin ja Fan von den alten Volvos – und auch so ein bisschen neidisch auf deinen Job 😉 Ich denke, früher oder später wird mich Hein auch für einen alten Schweden verlassen müssen. Aber bis ich mir noch einen leisten kann, wird das noch einige Jahre dauern. Aber kommt Zeit, kommt Volvo.
Die Einladung werde ich gerne einmal annehmen – das Sixpack Bier muss ja nochmal zu dir!
Schöne Grüße
Lars