Quadratisch, praktisch, Knut.
Heute geht es nicht um die Tafel Schokolade in der Viereckform, aber es ist ähnlich leckerIch möchte euch heute Knut vorstellen – eines der verkanntesten Autos, die es wohl gibt.
Der Motor heult auf, die Reifen quietschen. Ich fühle mich das erste Mal seit langem wieder in den Sitz gepresst. Im Rückspiegel sieht man nur den Qualm von den Reifen. Im Radio spielen „The Proclaimers“ ihr Lied „500 Miles“. Die Schaltpause in den zweiten Gang war praktisch kaum vorhanden. Die Papageienfiguren, die es sich auf dem Armaturenbrett gemütlich gemacht hatten, halten sich vor Schreck die Augen mit ihren Flügeln zu. Auch die Quietscheente in der Lederhose reißt schockiert ihre Augen auf, während die Sonnenbrillen fröhlich klappernd in den Lüftungsschlitzen hängen. Ich wende meinen Blick vom Armaturenbrett (das eigentlich fast eine eigene Welt ist) ab, auch, wenn es ein wenig schwer fällt. Lukas sitzt neben mir und grinst über beide Backen. Wir sitzen hier nämlich nicht gerade in irgendeinem Sportwagen. Wir sitzen hier in einem, nein, seinem Seat Marbella. An den Vorderrädern reißen atemberaubende 40 PS – zumindest taten sie das mal, als er neu war. Inzwischen hat er schon einige Kilometer gesehen und so ganz fit… ähm, nein. Ich will euch nicht zu viel verraten. Das erzähle ich euch später. Lasst mich erst einmal vorne anfangen.
Ein bisschen Wahnsinn gehört schon dazu.
Es gibt Menschen, die sitzen am liebsten auf ihrem Sofa. Gemütlich haben sie es zwischen ihren Ikea-Möbeln in ihrer Doppelhaushälfte, während draußen im Garten der selbstfahrende Rasenmäher seine Arbeit verrichtet und die geleaste, silberne C-Klasse präsent im Carport steht und den Nachbarn mit dem Skoda tagtäglich nur noch neidischer macht. Das größte Abenteuer, was diese Menschen (nach dem Klischee) unternehmen ist vielleicht einmal eine Woche Ballermann – aber das war es dann auch. Als ich Lukas vor einigen Jahren kennenlernte, wusste ich gleich, dass er nicht zu dieser Gruppe Mensch gehört. Wir lernten uns damals über ein anderes Hobby irgendwo an der niederländischen Grenze kennen – und als er mir nach dem ersten Händeschütteln erzählte, dass er gerade vier oder fünf Stunden mit seiner blauen Vespa hinter sich hatte, wusste ich sofort, dass er mir sympathisch war. Und das hat sich über all die Jahre nur noch verstärkt. „Bromance“ würden es Hipster nennen. Freundschaft nenne ich es.
Ich freute mich sofort, als Lukas angekündigte, dass er mich besuchen werde. Ich wusste sofort, dass die Tage mit ihm auf keinen Fall langweilig wären. Lukas hat nämlich den Hang zum gesunden Wahnsinn. Wer in seiner Freizeit gerne mit seinem Kleinwagen durch Wälder heizt und wer einen Golf III Variant trotz durchgerosteter Federbeindome und allen möglichen anderen Roststellen nicht wegschmeißt, sondern in penibler Feinarbeit über ein Jahr restauriert, muss wirklich ein wenig wahnsinnig sein. Oder einfach sein Ding machen. Und genau das macht Lukas auch. Ich war also nicht wirklich verwundert, als er mir erzählte, dass er auf den Komfort des Golf Kombis verzichten würde und mit seinem Alltagsauto ankäme. Um ehrlich zu sein – ich freute mich sogar. Denn Lukas ist das Auto. Und das Auto ist Lukas. Hört sich jetzt vielleicht verwirrend an, aber eigentlich muss man von einer Liebesgeschichte reden. Und Liebe ist immer verwirrend.
Eine Liebesgeschichte zwischen Mann und Maschine.
Spätestens nach diesem Bild werdet ihr nun wissen, was Lukas im Alltag für einen Wagen fährt. Lukas fährt einen Seat Marbella. Wobei… es ist zwar schon richtig, aber nicht so wirklich richtig ausgedrückt. Eigentlich müsste ich schreiben: Lukas lebt Seat Marbella. Der spanische Lizenzbau des Fiat Panda ist für Lukas nämlich eine Leidenschaft geworden. Neben dem bereits erwähnten Golf III Variant, der Vespa, einem VW Polo, einem Trabbi Kombi und einem echten Panda, besitzt der KFZ-Mechatroniker aus Nordrhein-Westfalen sechs Seat Marbella. Genau, richtig gelesen. Sechs Stück. Da kann man wirklich schon von Liebe reden.
Und diese Liebe begann mit dem ersten Auto. Wie so oft.
Irgendwann hatte Lukas das Vespa-Fahren schon irgendwie über. Im Winter war es kalt und nass und überhaupt – jeder Autofan träumt doch irgendwann vom ersten, eigenen Auto. Ein Youngtimer sollte es sein – und natürlich möglichst günstig. Irgendwann entdeckte Lukas im Vorbeifahren einen Vectra A bei einem Kieshändler, der sich aber bei genauerem Begutachten als schlimm verbastelter Fiat Tipo entpuppen sollte. Als Lukas ein wenig enttäuscht von dannen ziehen wollte, fiel sein Blick auf einen weißen, eckigen Kleinwagen in der hintersten Ecke. Dieser Wagen entpuppte sich als ein 1997er Seat Marbella. Lukas sah, Lukas fuhr, Lukas kaufte. „Harvey“ nannte er den kleinen Seat und fuhr glücklich mit ihm durch die Gegend – bis es zu einem Unfall kam. Harvey war so schnell nicht mehr fit zu bekommen – und wurde in eine Garage gestellt, in der er auch heute noch auf seine Wiederbelebung wartet.
Und hier kam Knut ins Spiel.
Ich weiß nicht, ob Lukas lange überlegen musste, was seinen „Harvey“ im Alltag ersetzen sollte, doch ich denke einfach mal, dass es für ihn von vorne rein klar war. Warum sonst hätte Lukas sich einen mit der Rolle blau lackierten, aber ursprünglich türkisfarbenen Kleinwagen mit acht Vorbesitzern und fast dreihunderttausend Kilometer auf dem Tacho entscheiden sollen? „Wirklich verhandelt habe ich nicht“, erzählte mir Lukas über den Kauf. „Ich wollte den Wagen unbedingt haben!“ Ich glaube, das sagt alles. Vor fast vier Jahren kaufte er den blauen Kleinwagen mit Resttüv und fährt ihn seitdem im Alltag. Und ehrlich gesagt – es wird nicht viele Leute geben, die „Knut“ einfach so fahren können. Man merkt dem kleinen Spanier schon an einigen Ecken an, dass er bei seinen Vorbesitzern nicht immer so viel Pflege und Liebe bekommen hat, die ihm Lukas nun zukommen lässt.
Schon beim Starten des Motors konnte man es hören. Der Vierzylinder mit sagenhaften 0,9 Litern Hubraum hat nämlich einen Pleuellagerschaden. Während andere Leute vor Panik schreiend im Kreis laufen würden, ist es für Lukas das normalste der Welt mit dem Wagen einfach mal eben über 400 Kilometer in den Urlaub zu fahren oder mit einem komischen Typen namens Watt’n Schrauber auf dem Beifahrersitz einen Proleten-GTI zu zersägen. „Da ist so viel Spiel, der geht nicht mehr fest!“, meinte der talentierte Hobby-Zeichner trocken zu mir. Mit dieser Einstellung ist es auch kein Wunder, dass Lukas den Wagen auch mal richtig fordert. Auch wenn die Synchronringe im Getriebe wahrscheinlich nicht mehr vorhanden sind, hält es ihn nicht davon ab, seinen Wagen als Lastesel zu benutzen. Komplette Motorroller, Gefrierschränke und einige große Umzüge durfte der kleine Spanier schon transportieren – und machte auch alles ganz locker mit. Ein tapferer Kerl, der kleine Seat.
Und übersteht sogar den Watt’n Schrauber.
Anscheinend hatte Lukas den Wagen schon genug erprobt, als er mir die Schlüssel in die Hand drückte. Ich sollte mir mal selbst ein Bild von dem Wagen machen. Ich glaube, ich saß noch keine Sekunde, als mir die echt gemütlichen Sitze auffielen. Das hätte ich in diesem „Sparmobil“ wirklich nicht erwartet – und konnte schon verstehen, warum er mit dem Seat und nicht mit dem Golf Variant an die Nordsee kam. Auch auf der Rückbank konnte ich ganz gut sitzen – wobei ich kein Maßstab bin. Wie sich „Knut“ fährt? Um ehrlich zu sein – bei der ganzen Fahrt kam ich mir ein bisschen wie ein Fahranfänger vor. Wenn ein Auto schon ein bisschen was erlebt hat, muss man sich an sich erst an so einige Kniffs gewöhnen, um den Wagen flüssig fahren zu können. So habe ich häufig nach langem Rühren den falschen Gang erwischt, doch irgendwie bringte es trotzdem Spaß mit dem kleinen Spanier durch die Gegend zu hoppeln.
Lukas‘ Geschichten von Erlebnissen mit dem Wagen, haben meiner Konzentration aber auch nicht wirklich geholfen. Während ich versuchte, in den fünften Gang zu schalten, erzählte er mir lachend davon, wie er das halbe Auto zerlegte, um einen in die Lüftung gerutschten Brillenbügel wiederzufinden. „Die Motorhaube habe ich vor lauter Wut in die Hecke geworfen!“, war eine seiner selbstironischen Anekdoten. Doch auch wenn er die Box auf vier Rädern häufig als „Ranzkiste“ oder „Schrottmöhre“ bezeichnet: Lukas liebt den Wagen. Neben regelmäßigem Service (Ehrensache für Lukas) sind überall an „Knut“ Details verpasst, die wirklich zeigen, wie sehr er den Wagen mag. So bekam der Wagen vorne und hinten nagelneue Schmutzfänger, die in irgendwelchen Restbeständen noch auftauchten. Um den Rallye-Wagen-Stil noch zu vervollständigen, durften auf der Frontstoßstange noch ein paar Fernscheinwerfer Platz nehmen. Der „0-100 in 11 Minuten“-Aufkleber war für Lukas ein Muss. Ich kann es verstehen.
Garantiert hätte ich euch nicht jeden x-beliebigen, übergerollten Kleinwagen gezeigt. Doch wenn jemand nach dem Schweißen des Wagens die Motorhaube auf dem Baumarktparkplatz abbaut und durch den Laden schleppt, um den exakten Farbton für das Nachbessern bestimmen und anmischen zu lassen, auch trotz eines Pleuellagerschaden nicht die Flinte ins Korn wirft und den Wagen immer noch täglich nutzt, dann ist es echte Auto-Liebe. Wahrscheinlich wird Lukas auch in fünfzig Jahren den Wagen noch fahren. Teile hat er genug – und die Liebe wird bestimmt nicht abklingen. Aber genau das macht das Hobby doch aus. Die Leidenschaft zu einem Auto – das ist für alle die Gleiche. Sei es nun ein Porsche, ein Mazda, ein Buckelvolvo oder eben ein einfacher Seat Marbella.
Wobei – das hier ist kein einfacher Seat Marbella.
Das hier ist Knut. Irgendwie ein Kunstwerk.
Mit einem Panda („der tollen Kiste“) bin ich groß geworden. Auch ein Fiat 127 (der technische Pate und andere Pandas lebten in der Familie. Es war erste Serie mit dem Blechgrill und 45 PS. Schwarz mit Pandabären. Mit dem wurde ich angehalten wegen etwas flotter Fahrweise… viel Gewicht hatten die 45 PS bei Beladung mit einer Person nicht. 140 waren mit viel viel Anlauf drin. Eine Unterhaltung war dann nicht mehr möglich. Gartenmöbel vorne und Hängematte hinten… zu 5. zum Skifahren mit großem Dachgepäckträger. Mit glühenden Bremsen durch die Alpen. Umzug Studentenbude… dennoch wich der dann mal einem Uno mit 75PS…
Hey Christoph,
stimmt ja – von deinem ersten Panda hast du mir ja live erzählt, das weiß ich noch!
Hast du denn inzwischen nicht doch irgendwie wieder das Bedürfnis, so einen Fiat einmal zu besitzen? Oder ist dir dein 124 Spider genug? Das erste Auto ist doch immer etwas besonderes. Ich finde die Dinger ja echt ganz cool inzwischen – und bin damit bestimmt nicht der einzige. Ich glaube, die ersten Pandas werden in zehn Jahren so kultig sein, wie die 500er oder R4 oder die Ente heute.
Oder würdest du doch eher zum Uno greifen?
Schöne Grüße
Lars