Auf Entzug.

Der Mensch braucht ein Hobby, in dem die Leidenschaft so richtig ausgelebt werden kann.Doch was ist, wenn man keine Zeit und/oder kein Geld für das Hobby hat? Genau: Entzug.

Mit einem lauten Knall fällt die schwere Tür hinter mir ins Schloss. Vorsichtig taste ich  im Dunkeln nach dem Lichtschalter und drücke drauf. Unregelmäßig flackernd erleuchten die alten Neonröhren die kalten Wände der Werkstatt. Bunte Regale und Werkzeug strahlen schon fast etwas wie Wärme, irgendwie aber auch ein Gefühl von Heimat aus. „Willkommen zurück!“, scheinen sie zu rufen. Erwartungsvoll präsentieren sie sich, in der Hoffnung, endlich einmal wieder für irgendwelche Schandtaten genutzt zu werden. Doch ich muss hart bleiben. Laut summend, um ihre einladenden, fast verführerisch klingenden Rufe zu übertönen, steuere ich stur auf den Schrank zu, in dem die Müllbeutel liegen. Herzlos und hektisch reiße ich einen Beutel von der Rolle und laufe flotten Schrittes zurück zur Tür.  Ich merke, dass ich den Rufen meines Werkzeugs nicht mehr lange standhalten kann. „Ich habe gerade keine Zeit für euch!“, rufe ich in die Werkstatt, als ich die Tür schließe. „Wir sehen uns im nächsten Jahr, versprochen!“

Auf den letzten Metern zur Haustür verspüre ich plötzlich ein ungewohntes Kribbeln in meinen Fingern. Verwundert schaue ich auf meine Hände. Meine Haut ist benetzt mit Altöl und Fett. Doch woher es stammt, kann ich mir nicht erklären…

Es gibt schon wirklich komische Hobbys.

Wirklich normal ist es ja eigentlich nicht, dass Leute freiwillig an ihren Autos schrauben. Wenn man jetzt einmal den Faktor Kosten außer Acht lässt, gibt es eigentlich wirklich kaum Vorteile, an seinem eigenen Auto zu bearbeiten. Ich schätze, dass die meisten Leute, die sich in ihrer Freitzeit gerne die Hände mit alten Schmierstoffen und Ruß dreckig machen, keine Ausbildung im Bereich KFZ haben – sind also eigentlich rein von der Ausbildung her schon nicht so sehr dafür geeignet wie die Mechaniker in der Werkstatt des Vertrauens. Zudem ist es ja auch viel gemütlicher, sein Auto einfach morgens irgendwo kaputt abzugeben und abends repariert (und manchmal sogar noch frisch gewaschen) wieder abzuholen. Trotzdem soll es Leute geben, die aus Spaß gerne selber an ihren Autos arbeiten. Angeblich, weil sie Technik fasziniert und weil sie beim Schrauben lernen wollen, wie sie funktioniert. Einige Leute sagen sogar, es würde sie entspannen, mit hartnäckig festgerosteten Schrauben zu kämpfen, sich im Eifer des Gefechts selbst zu verletzen und Literweise Schweiß zu vergießen. Normal können diese Leute wirklich nicht sein. Man müsste es einmal erforschen, warum die Leute so heiß darauf sind, selbst Hand an ihre alten Mühlen anzulegen. Irgendein unterdrückter Komplex? Ich kann es nicht erklären. Und dabei bin ich selbst einer dieser Menschen.

Man nennt es wohl Entzugserscheinungen.

Es liegt nicht nur am Weihnachtsstress – auch so habe ich momentan so viel um die Ohren, dass ich kaum Zuhause bin. Und die Zeit, die ich in meinen eigenen vier Wänden verbringen kann, muss ich zum Lernen, Putzen, Kochen oder Schlafen nutzen. Nicht nur, dass momentan ein Termin den nächsten jagt – dieses Jahr war auch ziemlich teuer, weshalb mir mein Kontostand den Tipp gab, ich solle lieber Geld verdienen als an meinen Autos zu basteln. Und es ist wirklich komisch, wenn man seit einigen Wochen seiner Leidenschaft nicht nachgehen kann, wenn man auf einmal keine Zeit mehr dafür hat, seinem Ausgleich zum stressigen Alltag nachzugehen. Wahrscheinlich habe ich deshalb seit einigen Wochen diesen komischen Traum von verführerisch rufenden Werkzeugen und plötzlich öligen Händen. Mehr als einmal bin ich nachts (fast ein bisschen glücklich) aufgewacht, nur um enttäuscht festzustellen, dass meine Hände doch ungewohnt sauber sind – wie seit einigen Wochen schon. Ich habe eindeutig Entzugserscheinungen. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Wobei mir mein soziales Umfeld nicht wirklich hilft,  meine Sucht zu vergessen. Wer mich etwas besser kennt, weiß von meinem Hobby. „Und? Was hast du am Wochenende so geschraubt?“ ist wohl eine der häufigsten Fragen, die ich an einem Montag hören muss. Oder „Was machen die Autos?“ Und anscheinend wissen die Leute über nichts anderes mit mir zu reden – kaum spreche ich mein tieftrauriges „Nichts!“ aus, versteinern ihre Gesichter. Einige fragen mich, ob alles okay sei, andere hingegen klopfen mir tröstend auf die Schulter. Und wieder andere stehen einfach schweigend vor mir. Nachdem sie mich in den letzten Wochen fast ausschließlich mit meinem dreckigen Golf Kombi und nicht mehr mit einem Oldtimer haben fahren sehen, werden sie wohl denken, ich hätte eine mittelschwere Lebenskrise. Zwei, drei Leute siezen mich auf einmal wieder. Anscheinend erkennen sie mich einfach nicht mehr, seitdem ich unter meinen Fingern kein hartnäckiges Altöl mehr begraben habe, nicht mehr nach Altöl rieche und meine lang gesuchte zehner Nuss plötzlich in der Jackentasche wiederfinde…

Oder sind es etwa Schuldgefühle?

Oder sind es einfach nur Schuldgefühle, die mich plagen? All die Werkzeuge – die Schraubenzieher, die Zangen, die Ratschen und die Steckschlüssel – alle müssen sich ja total vernachlässigt vorkommen. Und nutzlos. Und einsam, so ganz ohne mich. Jeden Morgen kommen mir diese Gedanken, wenn ich an den kalten Wände der Garage vorbeilaufe, die aufgeräumt, ausgefegt und mit all dem Werkzeug, das ich so vermisse, ausgestattet, nur darauf wartet, dass ich endlich die Spritleitungen an Henkelmännchen tausche oder oder die bereits gezeichneten Baupläne eines ganz anderen Projekts umsetze? Oder sind es Schuldgefühle, dass ich Elsa, Henkelmännchen, Hein und meine alte Zündapp eingemottet habe und für eine ganze Zeit nicht mehr bewegen werde? Dass ich nicht einmal wirklich Zeit habe, ihnen zärtlich über den Kotflügel zu streichen und zu fragen, ob sie gut schlafen? Neulich träumte ich davon, ich hätte meine Volvo-Dame „Elsa“ gegen einen Ferrari eingetauscht. Noch jetzt läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich daran nur denke… Zumindest bei Hein muss ich mir keine allzu großen Sorgen machen. Mein Schraubergockel „Chuck“ passt auf ihn auf. Er hat es mir fest versprochen. Doch dieser Kloß im Hals bleibt…

Man muss eisern bleiben.

Es gab tatsächlich Momente, da habe ich gedacht, ich halte es nicht mehr aus. Was habe ich gehofft, dass wenigstens der Becherhalter in meinem Alltagsauto verklemmt, damit ich wenigstens einmal wieder einen Schraubenzieher in der Hand halten konnte. Doch (zum Glück) wurden meine Wünsche nicht erhört. Nur das Bohren blieb. Das ständige Nachfragen meiner Mitmenschen. Die Garage, die jeden Morgen wie ein Monument meines schlechten Gewissens begrüßte… Ein einziges Mal wurde ich tatsächlich weich. Es war auf einer Tankstelle in Hamburg. Als ich zum Bezahlen ging, konnte ich nicht den Öldosen dort nicht widerstehen und kaufte eine. Kaum saß ich wieder in meinem Auto, goss ich mir das goldglänzende Schmiermittel über die Hände und freute mich daran, dass sie endlich nicht mehr sauber waren. Doch die Freude wurde schnell vom Ekel vertrieben. Vom Ekel über mich selbst, wie ich nicht standhalten konnte. Wie ich Opfer meiner Sucht wurde…

Natürlich ist das alles Blödsinn.

Ich schraube natürlich noch für mein Leben gern – aber diese kleine Zwangspause tut momentan auch ganz gut. Diesen Sommer habe ich viel erlebt und viel Spaß gehabt, da ist es nicht schlimm, eine kleine, kreative Pause zu nehmen. Zwar vermisse ich das Schrauben wirklich ein bisschen, andererseits bin ich natürlich froh über meine sauberen Fingernägel. Damit lernt man nämlich zum Beispiel auch viel leichter neue Leute kennen. Auch auf die Frage „Und? Was hast du am Wochenende so geschraubt?“ habe ich inzwischen eine bessere Antwort als „Nichts.“ gefundenschließlich habe ich noch nie jeden Tag in der Werkstatt verbracht. Vor Februar werde ich wohl nicht mehr wirklich Werkzeug anrühren. Aber das ist auch ganz gut, denn im nächsten Jahr wird es ein, zwei neue Projekte (Nein, keine Autos!) geben, bei denen ich neue Methoden und Techniken lernen und ausprobieren möchte. Ob es klappt? Wir werden es sehen. Motivation und Geduld tanke ich gerade recht viel. Achja – Geschichten, um die Zeit bis dahin zu überbrücken, habe ich übrigens noch genug auf Lager.

Achja – vor gut einer Woche konnte ich doch endlich einmal wieder einen Schraubenzieher benutzen. Ein Sidemarker meines Elchen leuchtete nicht mehr. Und sofort kam es wieder, dieses Gefühl. Und sofort wusste ich:

Schrauben muss einfach sein.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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