Das H ist in Gefahr…
Keine Sorge – Fahrverbote möchte ich hier nicht behandeln, ein anderes Thema ist dran.Die wohl nie endende Diskussion: Wo hört „Patina“ auf und wann fängt „Schrott“ an?
Alle Jahre wieder…
Ich weiß, ich weiß, ich höre ja schon auf. Weihnachten ist vorbei, da habt ihr bestimmt keine Lust mehr darauf, von einem Weihnachtslied einen Ohrwurm zu bekommen. Aber das war auch gar nicht meine Absicht. Das Ereignis, von dem ich euch heute berichten möchte, ist nämlich schon vor einigen Monaten passiert. Wir schreiben September. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, als ich lag ganz gemütlich auf der Liege im Garten und die letzten Zuckungen des heißen Sommers genoss. Bis auf einmal mein Schrauberhuhn Hennriette eilig angerannt kam. Total aus der Puste machte sie mich darauf aufmerksam, dass Henkelmännchen so langsam einmal zur Hauptuntersuchung müsse. Schließlich wäre der Monat bald um und das Wetter eigentlich noch einmal genau richtig für eine kleine Cabriotour.
Und so tat ich dann auch.
Zum Bestehen der Hauptuntersuchung konnte nicht viel fehlen, da war ich mir sicher. Henkelmännchen hatte mich den ganzen Sommer hindurch immer brav begleitet und hatte bis auf ein komisches Zusammentreffen mit einem Sprinter (Die Geschichte folgt noch) überhaupt keine Probleme bereitet. Nicht einmal Öl musste ich nachkippen, die vielen Fahrten und Langstrecken hatten dem kleinen, lustigen Golf wirklich gut getan. Außerdem schauen Hennriette und ich abwechselnd sowieso immer, ob beim Fuhrpark noch alles in Ordnung ist. Und so gönnte ich dem Golf nur noch eine kleine Wäsche, um den Dreck der letzten Touren abzubekommen und bei der Hauptuntersuchung einen besseren Eindruck zu hinterlassen.
In den letzten Jahren war schließlich auch einiges passiert. Technisch ist der Wagen inzwischen ganz gut davor und sogut wie durchrepariert, einzig die Optik ist an einigen Stellen nicht mehr ganz so frisch. Und das betrifft am meisten den Fahrersitz. 38 Jahre gingen an dem Sportsitz, die auch aus dem GTI bekannt sind, nicht ganz so spurlos vorbei. Der Schaumstoff im Sitz bröselt unten heraus, der Stoff ist mürbe und gerissen – und irgendeiner der Vorbesitzer klebte irgendwann einmal einen großen Lederfetzen auf die Sitzwange. Hübsch ist etwas ganz anderes. Doch weil mir das auch ein wenig peinlich war, hatte ich schon länger ganz schlichte Schonbezüge drübergezogen. Die finde ich zwar auch nicht schön, aber besser als ein zerissener Sitz. Zumindest redete ich mir das ein, nachdem ich von einigen Autosattler Preise zu hören bekam, die mich fast umkippen ließen.
Frisch gewaschen fuhr ich vor die Prüfhalle.
Ein Glück war gerade nicht viel los, als ich in das Büro mit den Prüfingenieuren ging. Natürlich werde ich euch nicht erzählen, wo ich zur Hauptuntersuchung gefahren bin – schließlich soll hier die Meinung eines Menschen nicht für Hohn und Spott sorgen. Der Prüfingenieur, der Henkelmännchen abnahm, war nämlich wirklich sympathisch. Und er kannte den Golf 1 auch noch ziemlich gut. Nachdem der kleine Golf den Beleuchtungstest und auch die Abgasuntersuchung ohne Probleme bestanden hatte, klopfte er alle Schwachstellen des Golf 1 ab – konnte aber zum Glück nichts finden. Das hätte mich auch ziemlich schockiert. Auch die restliche Prüfung lief ohne Probleme. Der Motor war knochentrocken, das Fahrwerk straff und auch die Bremsen taten wie sie sollten. Als der Prüfer am Ende die Plakette hinten auf das Auto klebte, fielen dann aber die Worte, von denen ich mächtig überrascht wurde:
„Aber an der Optik muss noch etwas passieren, ansonsten ist das H in Gefahr!“
Natürlich wendete ich gleich ein, dass Henkelmännchen bald den Fahrersitz neu bezogen und auch die nicht mehr taufrischen Dichtungen ersetzt bekommen sollte, doch dem Prüfer ging es eher um den Lackzustand. Im Winter 2009/2010 bekam der Wagen damals eine kleine optische Kur. Als der Wagen im Sommer 2009 bei uns einzog, war er nämlich mehrfarbig und auch so konnte man ihm die fast dreißig Jahre ansehen, die er da auf dem Buckel hatte. Ein Mix aus Grundierungsflecken, stümpferhaft ausgebesserten Stellen und mattpoliertem Originallack bestimmten das Aussehen des kleinen Golfs. Golf 1 Cabriolets waren damals wirklich noch nicht so beliebt, weshalb die Lackierung, die der Wagen damals verpasst bekam um auf das H-Kennzeichen vorbereitet zu werden, auch ein wenig günstiger und nicht so toll ausfiel. Zwar glänzte er nicht schlecht, doch um einige Dellen und Macken wurde sich nicht ganz so gekümmert, wie es vielleicht bei einer etwas teureren Lackierung der Fall gewesen wäre. Doch so war der Wagen erst einmal wieder konserviert und sah nach fast originaler Patina aus. Und verschlechtert hatte sich der Lack in den 8 Jahren auf dem Auto auch nicht wirklich.
Umso erstaunter fuhr ich (immerhin ohne erwähnte Mängel auf dem HU-Bericht) auch nach Hause. „Patina“ ist ja inzwischen so ein Modebegriff geworden – und auch ich mag am liebsten Autos, denen man die Macken ihres bewegten Lebens ansehen kann – doch wie will man bestimmen, was „Patina“ ist und was Schrott? Mir kamen einige Autos in den Sinn, die ich bisher auf Treffen gesehen hatte. Ich musste zum Beispiel sofort an den alten Rekord denken, den ich mit seiner originalen, aber gepflegten Patina total toll fand. Oder an den gammeligen Strichachter, bei dem sich die Türen langsam in Rostfladen auflösten, der Motor vor lauter Ölverlust feuchtfröhlich vor sich hin tropfte und trotzdem eine frische Plakette auf dem hinteren Kennzeichen glänzte. Das hatte auch schon nichts mehr mit „Ratte“ zu tun, sondern eher mit rollendem Schrott. Auch „Ratten“ finde ich ganz cool, so lange sie wirklich noch verkehrssicher sind und niemanden gefährden.
Gebrauchtwagen oder Oldtimer?
Natürlich kann ich auch verstehen, wenn einigen verbrauchten Oldtimern das H-Kennzeichen wieder abgenommen wird, schließlich ist es ja eigentlich nicht Sinn der Sache, dass die „historisch wertvollen“ Autos im Alltag heruntergeritten und verschlissen werden. Ein Mindestmaß an Pflege sollte den alten Autos ja schon zukommen – schließlich heißt es laut §2 Nr 22 FVZ ja auch, dass ein guter Pflege- und Erhaltungszustand zur Abgrenzung zu „normalen alten“ Fahrzeug gegeben sein muss. Doch wer legt es fest? Ich weiß, dass es momentan viele Diskussionen über dieses Thema gibt – schließlich sind patinierte Fahrzeuge beliebter denn je. In den auf der Ratgeber-Seite der Oldtimer-Markt (Bitte einmal hier klicken) aufgeführten PDF-Dateien „Richtlinien für die Begutachtung von Oldtimern nach §23 StVZO“ und der passenden Arbeitsanweisung für die Sachverständigen ist auch nichts präzise definiert. Anscheinend ist es wirklich eine Ermessenssache des Prüfers, wann Patina zum Schrott wird. Aber klar – es ist ja auch schwer, so etwas in Worte zu fassen ohne irgendwo noch Freiräume für Interpretationen zu hinterlassen. Schließlich wird es bei tausend Menschen auch tausend Meinungen geben, was Patina ist und was nicht. Ich würde so etwas nicht verfassen wollen.
Doch wie seht ihr das? Wie ist eure Einstellung zur „Patina“? Kann man da irgendwie eine Grenze zwischen „erhaltenswert“ und „Schrott“ ziehen? Wird ziemlich schwer…
Ich für meinen Teil werde Henkelmännchen einfach weiterfahren, weiterpflegen und mir keine Gedanken mehr über das kleine Erlebnis machen – wahrscheinlich wird es ja bei der nächsten Hauptuntersuchung sowieso wieder anders ablaufen. Schließlich ist er ja technisch wirklich gut und auch ansonsten recht gut gepflegt – wohl besser als ein „Gebrauchsfahrzeug“. Nur den Fahrersitz – den will ich bis dahin schick gemacht haben.
So langsam pieksen die Federn nämlich.
Hi Lars,
mein Cabrio soll mit der nächsten HU (2020) sein H-Kennzeichen kriegen. Meine Stammwerkstatt meinte bisher, dass es im aktuellen Zustand kein Problem sei. Ich bin gespannt, gerade nach deiner Geschichte.
Gruß, Bastian
Hey Bastian,
wenn deine Werkstatt es meint, wird es wohl hinhauen. Ich bin ja auch sehr überrascht gewesen, dass der Zustand anscheinend nicht hinhaute. Ich lasse mich überraschen, wie es in zwei Jahren aussieht, wenn Henkelmännchen wieder zur HU ist. Bis dahin soll der Sitz zumindest schick sein. Mal sehen 🙂
Schöne Grüße
Lars
Moin
Das „H“ Kennzeichen und der entsprechend geforderte Zustand ist schon immer vom Ermessensdenken des jeweiligen Prüfers abhängig, genauso von seinen Launen und was er am Vortag gegessen hatte.
Es ist wie früher in der Schule wenn man einen Aufsatz geschrieben hat, beim einen bekam man eine „2“ der andere Pauker hätte eine „5“ gegeben mit dem Nachsatz: „Thema verfehlt“
In diversen Foren kann man lesen wie es Usern ergeht wenn um die Erlangung des H gekämpft werden muss, auf der einen Seite der Pirat von KLE welcher mit historisch genau nichts zu tun hat, und der andere bekommt es verweigert weil im Armaturenbrett ein Riss zu sehen ist, oder eine kleine Ausbesserung per Spraydose vorgenommen wurde….
Bei uns hat die Dekra bzw. deren Prüfer überhaupt keinen Hintern in der Hose wenn es um das H-Kennzeichen geht, diese machen eine Fotodokumentation vom Aspiranten und schicken das nach Stuttgart zur Zentrale wo dann die Entscheidung getroffen wird
Dir ergeht es nicht anders als anderen, du bist abhängig von der Willkür einzelner
Hey Michael,
spiegelt dann ja genau meine Meinung wieder – man kann es auch schlichtweg nicht festlegen. Wie denn auch?
Was macht es denn für einen Unterschied, wenn die Zentrale darüber bestimmt? Doch auch keinen, oder? Da wird doch bestimmt auch nicht viel diskutiert, sondern ein einzelner Mensch bestimmt darüber.
Irgendeinen Nachteil muss unser tolles Hobby wohl haben 😉
Schöne Grüße
Lars