Die Perle unter den Säuen

Habt ihr schon einmal einen Gebrauchtwagen für den schmalen Geldbeutel gesucht? Nicht? Dann lasst mich euch einmal erzählen, was für Abenteuer euch da erwarten können

Kennt ihr auch diese Horrorgeschichten?

Sie sorgen für schlaflose Nächte, für Verfolgungswahn oder Angstzustände. Meist beginnen sie mit Worten „vertuschter Unfallschaden“, „Verkaufslackierung“ oder „Kilometerbetrug“. Wahrscheinlich kennt ihr alle jemanden, der beim Gebrauchtwagenkauf so richtig auf die Nase gefallen ist. Sei es der gepflegte Honda aus 1. Hand, der sich nach kurzer Zeit als krummer Unfallwagen herausstellte, der Audi mit dem flotten TFSI-Motor, der mehr Öl verbrauchte als die Exxon Valdez je verloren hat oder der günstige Mercedes, bei dem anscheinend nur ein Drittel der gefahrenen Kilometer mitgezählt wurden. Und auch Profis sind vor solchen Fällen nicht sicher. Mein Kumpel Jürgen – einer der besten KFZ-Mechaniker, die ich kenne – kaufte sich vor einigen Jahren vom Vertragshändler einen wunderschönen Volvo S40. Kaum war die gesetzliche Gewährleistung abgelaufen, verreckte der Motor bei Kilometerstand 105 000. Damit wollte der Händler natürlich nichts zu tun haben und Jürgen blieb auf den Kosten sitzen – bei einem Auto, was weit über 10 000 Euro gekostet hat.

Es ist also kein Wunder, dass viele Gebrauchtwagenhändler (vielleicht auch Autohändler im Allgemeinen?) den Ruf der Schlitzohren besitzen – und viele Leute eher zum Neuwagen greifen. Hier bekommt man (meiner Meinung nach) zwar auch fast nur noch anfällige, fahrende Computer, deren Motoren anscheinend auch reihenweise explodieren, aber zumindest hat man dann eine Garantie. Aber es gibt natürlich auch noch genügend Menschen, die keine Lust haben, zehntausende von Euro für ein Auto auszugeben – oder (so wie ich) es auch einfach nicht können. Und dann? Dann bleibt tatsächlich häufig nur der Gang zu den Schlitzohren und das Eintauchen in die Welt von vertuschten Unfallschäden, Tachotricksern und abgefahrenen Reifen. Und ich sag euch – das kann wirklich spannend werden. Das habe ich gerade neulich erst wieder gemerkt. Aber davon möchte ich euch nun ein bisschen erzählen.

„Die Challenge“

So heißt es doch immer bei komischen Fernsehproduktionen, die sich um alte Autos drehen, oder? Naja, egal. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, niemanden mehr bei der Autosuche zu helfen. Anscheinend wissen Leute es nicht mehr zu schätzen, wenn man ihnen einen Gefallen tut. In zwei Fällen kam es sogar zu einem ziemlichen Streit, als die Autos zwei Jahre nach dem Kauf wegen abgefahrener Bremsen nicht mehr durch die Hauptuntersuchung kamen – und ich dafür verantwortlich gemacht wurde. Auf so einen Mist hatte ich echt keinen Bock mehr. Und das erzählte ich auch einem guten Bekannten, als er sagte, dass sie einen neuen Wagen bräuchten. Der Volvo V40, der sie weit über zehn Jahre treu begleitet hatte, war auf einmal am Ende seines Lebens angekommen und schoss einen Kolben durch die Motorwand. Der Volvo war zwar eigentlich schon durch einen recht neuen Astra Caravan ersetzt worden, ein günstiger Zweitwagen musste aber noch her.

Als ich hörte, dass sie nicht mehr als 3000€ ausgeben wollten, der Wagen aber sicher und auch langstreckentauglich (und am liebsten wieder ein Volvo) sein sollte, warnte ich sie gleich vor, dass sie da wirklich aufpassen sollten. Als ich vor vier Jahren nach einem günstigen Diesel für unter 3000€ suchte, habe ich recht schnell bemerkt, dass sich unheimlich viel Schrott mit gefälschten TÜV-Plaketten und teilweise fast lebensgefährlichen Mängeln auf dem Gebrauchtwagenmarkt tummelt. Doch bekam ich dann schlussendlich fast nur recht dubiose Inserate geschickt und entschied ich mich, ihnen doch zu helfen. Schließlich mag ich die beiden und wollte nicht, dass sie sich Schrott andrehen lassen. Und so kam es, dass wir vor einigen Wochen ins Auto stiegen und tief in die Welt der billigen Gebrauchtwagen eintauchten. Vier Volvos hatten wir uns herausgesucht, die im Budget lagen und laut Inserat nicht den schlechtesten Eindruck machten. Zwei standen bei einem Händler, zwei waren von Privatanbietern. Dachten wir…

Kandidat 1

Es war das günstigste Auto bei einem Autohändler, der sich eigentlich um hochpreisige Gebrauchte kümmert. Bitte nehmt es mir nicht übel, wenn ich hier keine Bilder von den Autos veröffentliche und die Fahrzeugdaten etwas verändere – schließlich sind alle (bis auf einen!) noch im Angebot und es wäre nicht fair, wenn ich den Händlern schade. Die leben schließlich davon. Bei dem ersten Auto handelte es sich um einen Volvo S40 mit einem 2,4-Liter Fünfzylinder-Benziner und erst knapp über 150 000 Kilometern. Der Verkäufer war wirklich der entspannteste Zeitgenosse, den ich je erlebt habe. Er gab uns einfach so den Schlüssel zum Wagen in die Hand und ließ uns zum Auto fahren, das ein paar Kilometer entfernt auf seinem Ausstellplatz stand – ohne nach unserem Personalausweis zu fragen. Das ist Vertrauen – schließlich lagen sämtliche Papiere im Handschuhfach vom Auto…

Auf den ersten Blick machte der Wagen einen echt guten Eindruck. Zwar waren hier und da ein paar Macken im schwarzen Lack, doch die bleiben bei einem Auto im Preissegment von unter 3000€ nicht aus. Auch die Teilleder-Innenausstattung machte einen gepflegten Eindruck. Nur ein kleiner Riss im Kunstleder (doofes Material, Volvo!) trübte das Gesamtbild. Und der Geruch – es war nämlich eindeutig ein Raucherauto. Aber ansonsten? Der Fünfzylinder sprang nach einigen Wochen Standzeit super an und schnurrte auch wirklich ganz sonor. Was mir gar nicht gefiel: Der Fahrersitz ließ sich nicht mehr verstellen, es gab keinerlei Belege vom letzten Zahnriemenwechsel und echt übelst rostige Bremsen. Der Verkäufer zeigte sich aber eindeutig verhandlungsbereit und gab auch zu, dass der Wagen schon lange stehen würde und langsam wegmüsste. Selbst den Zahnriemenwechsel hätte er zur Hälfte übernommen und neue HU hätte es auch gegeben. Wäre es ein Kombi gewesen, stünde er dort wohl nicht mehr.

Kandidat 2 (und 3…)

Ich halte den Volvo V40 der ersten Generationen – so wie ich ihn fahre und ihr ihn hier auf den Bildern seht – auch für einen Geheimtipp unter den Gebrauchtwagen im Billigpreissektor. Zu Anfang waren es wirklich üble Gurken, doch mit der Zeit besserte Volvo immer wieder nach. Sucht man sich ein rostfreies (ganz wichtig!), spätes und gepflegtes Exemplar heraus, dann hat man für wenig Geld ein zuverlässiges Auto. Leider sind wirklich gute V40 inzwischen auch selten – doch trotzdem fanden wir zwei im Internet. Beide waren privat bei Kleinanzeigen inseriert und standen – wir dachten zufälligerweise – auch noch in der gleichen Stadt. Also fuhren wir hin. Eines war ein schwarzer V40, der zwar schon weit über 300 000 Kilometer gelaufen hatte, aber als Langstreckenauto bezeichnet wurde und mit frischer HU nur 950€ kosten sollte. „Wegen Umstieg“ stand in der Anzeige und auf den Fotos sah man einen gepflegten Kombi in einer guten Wohnsiedlung.

Doch unsere Euphorie ließ schlagartig nach, als wir an der Adresse ankamen, die uns gegeben wurde. Es war kein gepflegtes Industriegebiet – das Auto stand bei einem Händler, dessen Autos alle eigentlich aussahen, als würden sie auf den Schrott gehören. Auch entpuppte sich die weibliche Verkäuferin als Kerl. Eigentlich hätten wir den Volvo gar nicht mehr ansehen brauchen, doch trotzdem taten wir das. „Der Motor verbraucht kein Öl“, sagte uns der Verkäufer, doch die vier leeren Ölkanister im Kofferraum und die blaue Fahne aus dem Auspuff erzählten eine andere Geschichte. Als sich der Innenraum dann auch noch als Viruszuchtlabor für die nächste Pandemie entpuppte, hatten wir die Nase voll. Und als wir gerade gehen wollten, entdeckten wir Kandidat 4. Der weißer V40, ebenfalls von privat inseriert und ebenfalls in einer guten Wohnsiedlung geknipst, stand auch zwischen all dem Schrott. Zwar waren Zahnriemen, Motoröl und Bremsen tatsächlich neu und der Wagen auch wirklich gut in Schuss – doch Lust hatten wir auf das Auto nicht mehr.

Kein Einzelfall!

Und falls ihr nun denkt, dass wir nur einfach Pech hatten, dann muss ich euch enttäuschen. Leider ist so ein „Betrug“ wirklich keine Seltenheit. Als ich vor ein paar Jahren mit einer Freundin auf der Suche nach einem VW Golf bis dreitausend Euro waren und sie einem „Kiesplatzhändler“ ihr Budget erzählte, kostete auf einmal jedes Auto auf dem Platz 3000€. Auch wenn auf der Windschutzscheibe „1690€“ stand. Viel gruseliger ist aber eigentlich das Thema „TÜV-Betrug“. Neunzig Prozent der Autos, die dort auf dem Platz standen – wir trafen übrigens noch zwei privat inserierte V40 an – waren nicht mehr verkehrssicher, wurden aber mit frischer HU verkauft. Aber das passiert nicht nur bei Händlern. Vor ein paar Tagen schaute sich mein Kumpel Karsten einen Subaru Legacy an, der trotz faustgroßer Rostlöcher in tragenden Teilen eine frische HU hatte. Normal ist das nicht. Und eigentlich eine kleine Reportage wert… Achja – die Herkunft der Verkäufer ist dabei ganz egal. Schwarze Schafe gibt es überall.

Kandidat 4 – die Perle

Er stand in der hintersten Ecke eines Händlers, der seine Autos tatsächlich auf einem Kiesplatz präsentierte – allerdings auch eher hochpreisige Auto vom Schlage Audi Q5 und BMW 5er. Ein silberner V70 aus dem Jahre 2002. 290 000 Kilometer gelaufen, noch sechs Monate Rest-TÜV, mit Vollleder, Klimaautomatik, Anhängerkupplung und Schiebedach. 1500€ sollte der große Schwede kosten und viel Hoffnung auf ein Schnäppchen hatte ich nicht mehr. „Darauf gibt es aber keine Garantie mehr!“, meinte er der Verkäufer, als wir uns den Schlüssel holten. Doch irgendwie sah das Auto beim näheren Hinsehen gar nicht so schlimm aus. Von außen hatte er nur kleine Macken und auch von innen sah er echt gepflegt aus. Nur eine Naht am Fahrersitz war etwas aufgegangen – Kleinigkeit. Das Leder war noch okay, das lässt sich leicht nachnähen. Auch stank der Wagen nicht nach Rauch. Doch all die Optik bringt ja nichts, wenn der Wagen technisch nichts mehr taugt.

Doch bis auf die abgefahrenen Sommerreifen und den wieder fälligen Öl- und Bremsflüssigkeitswechsel konnte ich nichts entdecken. Der Zahnriemen war erst 40 000 Kilometer alt und sogar die Klimaautomatik wurde im letzten Jahr frisch gewartet. Der 2,4-Liter-Fünfzylinder mit 140 PS sprang sofort an und lief auch ruhig. Kein Wunder – das vollgestempelte Scheckheft und allerlei Rechnungen zeugten davon, dass sich um das Auto echt gut gekümmert wurde. Auch auf der Probefahrt zeigte der große Kombi keine Schwächen. Kein polterndes Fahrwerk, keine Warnlampe im Kombiinstrument, die Kupplung war super, das Getriebe schaltete toll – und einfach alles funktionierte. Ihr könnt euch schon denken, dass der Wagen nicht lange beim Händler stand, oder? Für 1600€ – aber dafür mit fast neuwertigen Winterreifen auf Stahlfelge mit Volvo-Kappen – wechselte der V70 seinen Besitzer. Zum Öl- und Bremsflüssigkeitswechsel war der große Schwede übrigens schon in der Werkstatt. Und weil dort keine Mängel festgestellt wurden, kommt er nächsten Dienstag zur Hauptuntersuchung. Ganz legal und ohne Betrug.

Ein guter Kauf?

Es ist wohl also tatsächlich möglich, im Billig-Preissegment gute Autos zu finden – man muss wohl nur echt Glück haben. Wie sich der V70 schlagen wird, werde ich euch natürlich berichten. Ich glaube aber, dass der Wagen ein echtes Schnäppchen war und noch ein langes Leben vor sich haben wird. Ich bin aber trotzdem gespannt. Klar wird so ein alter Kahn mit fast 300 000 Kilometern auf der Uhr auch einmal kaputtgehen und vielleicht etwas Öl verbrauchen – aber für den Preis wohl absolut tolerabel. Als die neuen Besitzer vor ein paar Tagen ihren neuen Volvo tauften und mit einem Glas Sekt anstießen, fragten wir uns alle, warum Leute Neuwagen kaufen, wenn solche Schnäppchen für so wenig Geld da draußen warten. Doch dann fielen uns wieder die ganzen Autoleichen ein, die mit frischer HU verkauft wurden und wurden uns schnell einig. Beim Gebrauchtwagenkauf gilt das gleiche wie im Leben:

Glück muss man haben. Und Geduld.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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6 Responses

  1. Dirk Michaelsen sagt:

    Soll einen 70er Benziner mit 140PS hatte ich auch mal. Tolles Auto, toller Motorsound, so gut wie keine Reparaturen. Würde ich jederzeit wieder kaufen und fahren.

    • Watt'n Schrauber sagt:

      Hey Dirk,
      das freut mich doch zu hören! Ich war auch ganz angetan von dem Wagen – hätte ich einen gebraucht, würde er nun mir gehören. Aber „Neuwagen“ habe ich zum Glück schon mehr als genug. Ich bin gespannt, wie er sich schlagen wird. Die HU hat das Auto übrigens ohne Mängel geschafft. Ein echtes Schnäppchen!
      Schöne Grüße
      Lars

  2. Michael sagt:

    „fragten wir uns alle, warum Leute Neuwagen kaufen, wenn solche Schnäppchen für so wenig Geld da draußen warten“

    Weil es sonst keine Gebrauchtwagen gibt, die Leute mit kleinem Geldbeutel kaufen wollen oder müssen.

    Und einen Volvo mit Reparaturstau kaufen kann kostentechnisch schnell im Destaster enden, denn im Vergleich zur VW Gruppe wo man Ersatzteile für Kleingeld bekommen kann wird es für einen Volvo richtig teuer.

    Habe einen Bekannten der war bis zum Ruhestand Dekra Sachverständiger und hat auch Unfallgutachten gemacht, Volvo ist die teuerste Marke, Sportwagenhersteller mal außen vor gelassen

    • Watt'n Schrauber sagt:

      Hey Michael,
      bist du dir da ganz sicher? Ich fahre ja schon über 8 Jahre einen Volvo und muss sagen, dass die Ersatzteilpreise gar nicht so teuer sind. Klar gibt es einen Gewissen Premiumaufschlag, aber alle Verschleißteile, die ich für meinen Volvo bisher gebraucht habe, waren günstiger als beim Passat meiner Eltern – teilweise sogar günstiger als die Ersatzteile für meinen 4er Golf. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass es sehr teuer werden kann, nach einem Unfall die ganzen Sicherheitssysteme zu ersetzen – schließlich hat so ein Volvo mit WHIPS, SIPS und IC relativ viele, die bei einem Unfall auslösen. Aber sollte es wirklich zu einem Unfall kommen, dann wird man ein 1600€-Auto wohl auch nicht mehr reparieren.
      Schöne Grüße
      Lars

  3. Sebastian sagt:

    Schön geschrieben. Für mich gehört beim Gebrauchtwagenkauf viel Gefühl dazu. Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, ist es nix. Die Story des Verkäufers muss glaubhaft sein. Deswegen kaufe ich auch lieber von privat. Und im Zweifel lieber ein paar 100 € mehr ausgeben, dann hat man den übelsten Schrott schon aussortiert.

    Nach diesen Regeln habe ich in diesem Jahr einen 1991er Fiat Panda – quasi rostfrei (!) – von einem etwas verrückten Amerikaner in der Eifel und dann einen grundsoliden BMW 5er von 2000 am Hamburger Rand gekauft und bisher beides nicht bereut.

    Leider muss man aber erst einmal ein paar Fehlkäufe machen, bis man soweit gelernt hat…

  1. 31. Dezember 2020

    […] und Leute, die Autos horten, haben anscheinend einen wunden Punkt getroffen. Und als wir die Perle unter den Säuen gefunden haben, wart ihr auch ganz begeistert. Ich kann mich bei euch wirklich nur bedanken, dass […]

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