Von Brechstangen und Pizzaschneidern
Für fast jedes Auto gibt es Spezialwerkzeug – so auch für einen 1990er Mercedes 260 SE. Heute möchte ich euch den Sandmann, seine Welt und den großen Helmut vorstellen.
Es war viertel nach sieben.
Müde rieb ich mir die Augen, bevor ich noch einen letzten, prüfenden Blick auf die wertvolle Ladung warf, die im Kofferraum meines Volvos lag. Eigentlich war es erst viertel nach sechs, wenn die Uhren nicht ein paar Stunden zuvor umgestellt worden wären. Auch die Uhr in meinem Volvo stimmte noch nicht, als ich mich in den gemütlichen Ledersessel setze, der sich Fahrersitz nennt und den Motor startete. Daran habe ich mich aber gewöhnt. Irgendwie zählt die Uhr nämlich zu schnell und irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr, alle paar Wochen die Uhr neu einzustellen. Doch die Uhrzeit war an diesem Tag auch nicht ganz so wichtig. Zum einen war ich noch gut in der Zeit und zum anderen ist an einem Sonntagmorgen meist auf den Straßen auch noch nicht viel los. Außerdem sollte es einfach ein ganz entspannter Schraubertag werden. Der Sandmann hatte mich eingeladen und seine Welt war mein Ziel.
Die Straßen waren tatsächlich frei und es dauerte auch nur knapp über eine Stunde, als ich irgendwo in Kiel den Blinker setze und in die Welt vom Sandmann einbog. Ich bin mir sicher, dass ich euch den Sandmann eigentlich gar nicht vorstellen bräuchte. Denn wer gerne unterhaltsame Geschichten über alte Autos und das Leben mit ihnen liest, der wird garantiert schon einmal über den Blog „Sandmanns Welt“ gestolpert sein. Hinter all den wunderbar geschriebenen Geschichten, den musikalischen Backseat-Sessions und hinter dem „Pseudonym Sandmann“ steckt Jens. Jens ist ein kreativer Kopf, der nicht nur das Herz am richtigen Fleck, sondern auch immer ein Liedchen auf den Lippen hat und alte Autos viel geiler findet als neue. Jens habe ich vor fünf oder sechs Jahren kennengelernt und seitdem ist zwischen uns eine Freundschaft entstanden. Wir haben schon viele lustige Stunden miteinander erlebt und viel Blödsinn gemacht. Und das wollten wir auch an diesem Tag tun.
Darf ich vorstellen? Das ist Helmut.
Das rote Granada Coupé, das Jens seit den Neunzigern besitzt und als seine persönliche Zeitkapsel aufgehoben hat, blinzelte noch ganz verschlafen aus der Garage, als die Tür meines Volvos hinter mir ins Schloss fiel. Jens‘ Dailydriver, ein 1971er Knudsen-Coupé in der Ausstattungsvariante „GXL“, stand auf der Auffahrt zu der Grube (Wie cool ist das denn bitte?) und ließ mich an einen feuchtfröhlichen Abend auf einem Audi-V8-Treffen denken. Gemütlich, so eine Taunus-Haube. Und mittendrin – kaum zu übersehen – stand Helmut. Helmut ist ein 1990er Mercedes Benz 260 SE der Baureihe W126 und soll irgendwann das Alltagsauto von Jens werden, um den Taunus ein bisschen zu entlasten. Doch bis das passieren kann, muss noch ein bisschen Ellbogenschmalz in den großen, rauchsilberfarbenen Daimler investiert werden. Und genau deshalb hatte mich Jens auch eingeladen. Und während ich am liebsten sofort losgeschraubt hätte, bugsierte Jens mich erst einmal an den Frühstückstisch. Recht hatte er. Stärkung muss sein.
Nach dem Frühstück (Mehr als ein Brötchen ging echt nicht – ich bin nicht so der große Frühstücker) ging es dann aber frisch und fröhlich ans Werk. Der Hauptgrund, warum Jens mich zu sich eingeladen hatte, waren nämlich Helmuts kaputte Hubwinkel. Die Hubwinkel haben nichts mit dem Hubraum und schon gar nichts mit der Hupe (Die schreibt man ja auch mit P) zu tun, sondern sitzen im Schiebedachmechanismus und machen, dass das Schiebedach hebt und senkt. Wenn das Schiebedach aber nicht genug geschmiert wird, gehen die Dinger im Alter aber gerne einmal kaputt und dann hebt und senkt sich gar nichts mehr. Auch bei meinem Mercedes waren sie kaputt, bis ich sie vor zwei Jahren mit meinem Kumpel Lukas gegen zwei gebrauchte Hubwinkel ersetzte. Und das hatten wir auch vor – nur, dass Jens keine gebrauchten Hubwinkel besorgt hatte, sondern günstige Nachbauteile.
S-kaliert.
Wenn ihr mehr über die Hubwinkel-Schrauberei erfahren wollt, dann klickt mal schnell zu Sandmanns Welt: Hubwinkel-Advokaten. Der Gute hat dort in toller Form viel schöner niedergeschrieben wie die Aktion verlief, als ich es jemals könnte. Nur eine Sache hat Jens nicht erwähnt. So unheimlich viel habe ich gar nicht geholfen – Jens hat nämlich selbst echt ein Händchen fürs Schrauben. Ich bin in der Zeit mehr um die große Karossere geschlichen, dessen Artgenossen auch Helmut Kohl zu Amtszeiten durch die Gegend fuhren. Zehn Jahre stand Helmut (also die S-Klasse) ungenutzt in einer Garage, bis Jens sie aus dem Dornröschenschlaf weckte und kaufte. Hier und da hat der alte Kahn schon etwas Moos und Rost angesetzt, aber die Substanz ist wirklich noch überraschend gut. Viel besser als bei meinem gleichalten 124er Mercedes, der mangels gültiger HU zu Hause in der Garage steht und auf seine Restauration wartet. Die geht übrigens bald los – also stay tuned!
Irgendwann wechselten wir von den Hubwinkeln auf die Wasserpumpe, die den ansonsten wirklich ruhigen Motorlauf des Reihensechszylinders mit lautem Lagergekreische echt störte. Als ich am Tag vorher noch zu Jens meinte, dass ich mich schon auf schmierige Finger und Ölflecken im Gesicht freute, fragte er noch ganz ungläubig, wie wir uns die denn holen sollten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden unsere Hände aber immer dunkler und dunkler und werden es wohl auch noch für einige Wochen bleiben. So ganz einfach war die Aktion mit der Wasserpumpe nicht – aber die Geschichte wird euch Jens auch noch einmal erzählen. Trotz aller Hürden und Herausforderungen hatte ich die ganze Zeit einfach nur Spaß. Spaß endlich mal wieder aus der Bude herauszukommen, einen Freund zu treffen und zu reden und zu lachen. Alles Dinge, die dank Corona in letzter Zeit nicht mehr so einfach möglich waren und die ich auch wirklich vermisse. Achja – bevor nun irgendeiner losmotzt: Wir haben uns vorher natürlich testen lassen.
Spezialwerkzeug im Einsatz
Ich will nicht zu viel vorwegnehmen – aber irgendwann während des Schraubens lag plötzlich eine Brechstange neben einem Hammer und einem Pizzaschneider im Motorraum. Ich dachte, ich hätte die Szene fotografiert, aber leider finde ich das Bild nicht – also gibt es nur ein Beweisbild, dass mit dem Pizzaroller wirklich eine Pizza geschnitten wurde. Käse-Pizza. Habe ich noch nie gegessen, war aber wirklich lecker. Und sie gab Energie! Auch wenn das Projekt „Wasserpumpe“ ein bisschen s-kalierte, waren wir nämlich wirklich produktiv. Was natürlich nicht heißt, dass wir dabei nicht irgendwelche unterirdischen Kalauer klopfen, über das Leben philosophierten und schlussendlich doch zum Entschluss kamen, wie geil alte Autos eigentlich sind. Denn eins muss ich nun wirklich zugeben: Großartig gewehrt hat Helmut sich nicht – das kenne ich von Hein deutlich schlimmer. Die zehn Jahre in der Garage haben der großen Limousine wohl in der Hinsicht gutgetan.
Als der Reihensechszylinder wieder ruhig, aber laut vor sich hin brummte (Der Auspuff ist ab), lud ich dann auch endlich die wertvolle Fracht aus dem Kofferraum meines Volvos. Irgendwie hatten sich die ollen Scorpio-Felgen, die Jens lange auf seinem Taunus fuhr und damit für reichlich Aufsehen im Internet sorgte, nach Dithmarschen verirrt und sollten wieder zurück zum Besitzer. Jens schlug die Hände über dem Kopf zusammen und der Taunus zitterte etwas vor Angst, als ich die Felgen auslud. Aber ich glaube, die Gefahr, dass die Dinger den Weg zurück an grünen Ford finden, ist relativ gering. Den Abend ließen wir noch für einen kurzen Moment bei Schokokeksen und Wein (Für mich O-Saft) ausklingen, bevor ich mich wieder auf den Weg nach Hause machte. Als ich irgendwann an der Fähre Breiholz wartete (Der direkte Weg war plötzlich von knapp 200 000 Kröten versperrt), dachte ich darüber nach, wie cool die Aktion eigentlich gewesen ist. Freundschaft, dreckige Hände und ein altes Auto, das besser läuft als vorher.
Zu Zeiten von Corona tat das einfach mal verdammt gut.
So – und nun ab zu Sandmanns Welt mit euch. Da könnt ihr genauer nachlesen, was wir an diesem Tag so gerissen haben. Also hier klicken: Sandmanns Welt und genießen. Und vielen Dank für deine Einladung, Jens! Es war mir eine Ehre an Helmut zu schrauben. Auf dass er bald wieder den Asphalt unter den Rädern hat! Achja – und Happy Birthday! 😉
AAAWWWWWWW
Du warst schneller als ich, verdammt 🙂 Jetzt komme ich in Zugzwang.
Aber deine vielen Komplimente kann ich zurück geben, mein Freund. Das hat wirklich Spaß gemacht, und auch wenn das Schiebedach, also der eigentliche Grund für unsere Schrauberei, nicht so schiebt wie es geplant war war dafür die WaPu Aktion umso erfolgreicher. Großes Kino. Nach und nach wird mein Helmut wieder….
Bis bald in diesem Theater. Und schöne Ostertage noch!
Sandmann
Hey Sandmann,
ich hoffe, du hattest auch schöne Ostertage! Spaß hat es wirklich gebracht. Ich denke mal, Helmut wird dieses Jahr noch ganz sicher wieder Asphalt unter den Rädern haben. Und dann fahren wir mit unseren alten Sternenautos mal irgendwohin, nech?
Schöne Grüße
Lars