Einfach los

Einfach losfahren und genießen. Das habe ich nach langer Zeit einmal wieder gemacht. Jap, richtig. Endlich wieder eine Geschichte. Von einer Fahrt in den Sonnenuntergang.

Langsam schiebe ich das Garagentor auf.

Vier Wochen. Über vier Wochen ist es her, dass ich es für diesen Anlass getan habe. Und ich könnte weinen vor Freude. Ich streichle leicht über den hinteren, linken Kotflügel als ich zur Fahrertür laufe. Ich nehme den Türgriff in die Hand. Ich spüre die Chrombeschichtung in meiner Hand, die die letzten 65 Jahre nicht so ganz spurlos überstanden hat. Ich drücke den Griff nach unten, knackend geht die Tür auf. Das weiche Lammfell spüre ich durch meine Jeans. Sanft fasse ich an das dünne Bakelit-Lenkrad und umfasse es. Über vier Wochen ist es her, dass ich hier zum letzten Mal gesessen habe und mit Elsa auf Tour gegangen bin. Über vier Wochen. Ich stecke den Zündschlüssel in Schloss, ziehe den Choke etwas und drehe am Schlüssel. Elsa ist sofort hellwach.

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Lars, ich bin 26 Jahre alt, wohne an der Nordseeküste und schraube hobbymäßig gerne an meinen Autos und mache dann Geschichten darüber. Okay, wahrscheinlich werdet ihr das wissen. Aber es ist so lange her, dass ich hier etwas veröffentlicht habe, dass es mir schon fast peinlich ist. Aber nur fast. Es war so viel los in meinem Leben, dass ich es einfach nicht geschafft habe, mich nach Feierabend an den PC zu setzen und das zu tun, was ich ganz doll liebe: Geschichten zu schreiben und mich mit euch auszutauschen. Beruflich war viel los, doch privat noch viel mehr. Aber nun kann ich ein wenig durchatmen und habe wieder Zeit für meine liebsten Hobbys. Meine alten Kisten und Watt’n Schrauber.

Immer der Nase nach.

Ich lege den Rückwärtsgang ein und lasse die Kupplung vorsichtig kommen. Schon nach dem ersten Zentimeter in Elsa grinse ich wie ein Honigkuchenpferd. Glaube ich zumindest, ich habe noch nie eines gesehen. In den letzten Wochen war ich wieder sehr viel unterwegs, auch beruflich. Da waren es recht neue Autos, mit Downsizing-Dieseln, Downsizing-Ottomotoren oder Elektromotor. Und auch wenn ich das ein oder andere Auto recht nett finde, geben sie mir nicht das, was meine alten Kisten mir geben können. Ich kann es gar nicht so richtig beschreiben – außer mit einer alten Mercedes-Werbung. „Willkommen Zuhause“. Das passt eigentlich recht gut. Ich drehe am dünnen Lenkrad, lege den ersten Gang ein und fahre der Nase nach in Richtung Sonnenuntergang.

Die Straßen sind leer. Behutsam bringe ich Elsa auf Betriebstemperatur und genieße den Ausblick. Es ist nett, nun wieder mehr Menschen um sich herumzuhaben, doch manchmal genieße ich die Ruhe des Landlebens einfach. Kein Stau, kein Gehupe und keine gestressten, unfreundlichen Menschen. Leere Straße, eine leicht Brise frische Nordseeluft und irgendwo in der Ferne das Meckern von Schafen. Ich halte das dünne Lenkrad in der Hand und grinse immer noch. Seit einiger Zeit bringt mir Elsa noch viel mehr Spaß als vorher schon. Und warum das so ist, könnt ihr hier bald lesen. Ich biege in eine Straße und merke erst jetzt, wie staubig die alte Schwedin ist. Ich kann kaum etwas durch die Frontscheibe sehen.

Der Ärmel muss herhalten.

Die Scheibenwaschanlage würde alles nur verschmieren – Elsas Scheibenwischer sind nicht gerade die effektivsten. Und einen Lappen habe ich im Auto nicht gefunden. Außerdem gibt es ja Waschmaschinen. Ich schaue auf den Ärmel meines Pullovers. Er ist etwas staubig geworden, doch irgendwie ist es mir ganz egal. Der Lack von Elsa könnte wieder eine Wäsche gebrauchen und im Innenraum liegen noch all die Utensilien der letzten Rallye. Doch daran werde ich heute Abend nichts mehr ändern. Auch nicht an meinem dreckigen Ärmel. Ich wische mit der Hand zwei Mal drüber, schaue hoch in Richtung Sonnenuntergang und lausche dem Brummen des alten Vierzylinders. „Der Deich wäre eigentlich ein nettes Ziel“, denke ich mir und setze mich wieder hinter das Steuer. Munter rollt Elsa los. Wir verstehen uns ganz ohne Sprachbefehl und Lane Assist.

Zum Deich ist es nicht mehr weit. Vielleicht noch drei oder vier Kilometer. Ist auch ganz gut so, denn die Tanknadel zeigt mir, dass Elsa bald Durst hat. Erst jetzt merke ich, dass ich mein Portemonnaie nicht dabei habe und ich die Tour vielleicht etwas kürzer ausfallen lassen sollte. Aber der Sommer ist ja noch lang und für Elsa und mich wird es noch viele Möglichkeiten geben, Touren zu machen. Vielleicht werde ich mit der alten Dame auch mal einen Kurzurlaub irgendwo wagen. Ich weiß es noch nicht genau, Spaß darauf hätte ich aber auf jeden Fall. Flott flitze ich mit Elsa über die Landstraße. Bis ich in der Ferne ein paar Rehe sehe, die auf der Straße spielen und sich erst aus dem Staub machen, als ich mit Elsa schon fast neben ihnen stehe.

Hallo Heimat.

Es riecht nach Schafskacke, Salz und Schlick, als ich Elsa abschließe und den Deich hochstiefel. Ich mag diesen Geruch. Irgendwo in der Nähe scheint ein Konzert zu sein, ich höre Musik und lautes Getose. Doch hier ist… niemand. Außer einer großen Zahl an Schafen, die mich alle wiederkäuend anschauen und sich bestimmt fragen, was der Kerl da auf dem Deich macht. Ich stehe einfach nur da und hole tief, tief Luft. Kurz überlege ich, ob ich noch zum Wasser zu gehen und hineinspringen sollte – aber nass möchte ich mich nicht in Elsa setzen. Ein Handtuch habe ich nicht dabei. Und so ein Schaf eignet sich als Handtuch in der Regel eher schlecht. Zumindest können die erstaunlich schnell rennen.

Es ist schön hier. Und so sehr ich Hamburg auch mag – hier bin ich Zuhause und hier gehöre ich hin. Rot glühend geht in der Ferne die Sonne unter, während links von mir ein Schaf lautstark pisst. Doch weder das Schaf noch die Sonne haben meine Aufmerksamkeit. Ich habe ihnen schon lange den Rücken zugedreht und schau herunter auf Elsa. Das Auto, das ich vor neun Jahren als Rosthaufen gekauft und selbst fitgemacht habe. Das Auto, über das ich mich nach neun Jahren noch so freue, als hätte ich ihn gerade gekauft. Das Auto, das ich niemals verkaufen werde. Langsam stiefel ich den Deich herunter und werfe mir selbst immer wieder das Schlüsselbund zu. Vielleicht habt ihr Elsa und mich in der Zwischenzeit vergessen. Ich habe aber auf jeden Fall an euch gedacht. Und ich habe euch echt viel zu erzählen.

Es ist in der Zwischenzeit wirklich einiges passiert. Elsa hat eine große Kur bekommen und die erste Rallye abgeschlossen, Henkelmännchen hat mich auf einige Fahrten begleitet, der Elch hat ein kleines Malheur gehabt, der Passat meiner Eltern genauso, Harald hat eine große Kur bekommen und auch an Hein, meiner Dauerbaustelle und Rostlaube, geht es kontinuierlich weiter. Eine Großbaustelle habe ich inzwischen abgeschlossen – und dafür die nächste gefunden. Wie könnte es auch anders sein. Aber wisst ihr was? Ich will noch gar nicht zu viel verraten. Ab jetzt könnt hier wieder häufiger lesen, wie mich meine alten Kisten so auf Trab halten.

Und das können sie echt gut.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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1 Response

  1. dieter sagt:

    Hallo Lars,
    soo schön wieder von dir zu lesen !

    Hab dich schon sehr vermisst, freue mich jetzt schon riesig auf deine neuen Geschichten.

    Viele Grüße aus dem tiefen Süden

    dieter

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