Erich zieht ein
Ich weiß – der Schraubercontent lässt ein bisschen auf sich warten. Stattdessen kommen nur Neuzugänge.
Und auch heute ist das wieder der Fall. Mir ist da etwas zugelaufen: Heute stelle ich euch Erich vor.
Er konnte seinen Scheinwerfern kaum trauen.
Und für einen Moment vergaß er fast, aufgeregt oder traurig zu sein. Noch größer als die Bäume in seinem Wald ragten sie in den Himmel und hoben mit einer Leichtigkeit große Metallkisten an, für die er sich bestimmt hätte ziemlich anstrengen müssen, um sie überhaupt bewegen zu können. Er erinnerte sich an die große Tanne, die er mal durch den Wald ziehen musste. Schon da wäre er fast ins Schwitzen gekommen – und das trotz seiner Luftkühlung. Aber so eine große Metallkiste? Das würde nicht einmal er schaffen, obwohl er in all seinen Jahren all die Aufgaben geschafft hatte, die man ihm aufgetragen hatte. Selbst in den letzten Jahren, als es ihm selbst nicht mehr gut ging – so wie jetzt seinem Besitzer. Der schnelle Fahrtwind war nichts für ihn. Zwar wusch er ihm die Tränen aus den Scheinwerfern, die ihm doch hochstiegen, wenn er an sein Besitzer dachte, aber die Geschwindigkeiten waren einfach nichts für ihn. Viel zu schnell zog die Landschaft an ihm vorbei, er hätte sich lieber gerne die Vögel und die Bäume und die Blumen am Wegesrand genauer angeschaut. Zum Glück wurde er ausnahmsweise mal gezogen und musste nicht selbst so schnell durch die Stadt fahren, die sein Besitzer bestimmt meinte, wenn er von“Hamburg“ sprach. Hoffentlich würde er nun wieder aufs Land ziehen – und nicht in eine Stadt, ohne Vögel und Bäume und Blumen. Und hoffentlich würde sein scheinbar neuer Besitzer es gut mit ihm meinen – und ihn nicht verschrotten.
Wahrscheinlich denkt ihr, dass ich ein Problem habe. Ein Kauf-Problem. Fünf Jahre lang habe ich nichts gekauft und brav an meinen Autos geschraubt – seit letztem August ist es nun der vierte Neuzugang, von dem ich euch berichte. Erst habe ich Krümel gekauft, dann kam im Februar Ove dazu, im Juli noch ein alter Passat und nun… Erich. Aber ich habe kein Problem – zumindest nicht das. Tatsächlich habe ich in den letzten Monaten einfach sehr wenig Zeit gehabt, euch von den Fortschritten meiner Projekte zu berichten, aber es ging tatsächlich einiges weiter – das erfahrt ihr aber im nächsten Jahr. Während ich auf Ove wirklich jahrelang gespart und mir damit einen Traum erfüllt habe, liefen mir Krümel, der Passat 35i und nun auch Erich eher zu. Wobei ich gerade auf den Kauf von Erich eigentlich gerne verzichtet hätte. Es war ein sehr mulmiges Gefühl, als ich – mit einem Autotrailer bewaffnet – mit dem Passat B7 meiner Eltern in Richtung Süden aufbrach.
203 Kilometer
Ich habe schon deutlich mehr Kilometer an einem Tag abgespult, aber auf wenigen Kilometern habe ich so viel nachdenken müssen, wie auf diesen. Ungefähr zwei Wochen vor der Abholung rief mein Onkel an und erzählte uns, dass er krank sei – und sogar sehr krank. Er hätte Krebs und die Chancen auf Heilung stünden so schlecht, dass nicht mehr wirklich geholfen werden kann. Während er damit aber scheinbar seinen Frieden geschlossen hatte, saß der Schock bei uns in der Familie doch recht tief. Es war kaum fassbar, dass mein Onkel – eigentlich der Schwager meines Vaters – nun die Sachen, die er gerne hatte, in gute Hände geben und sein Leben durchsortieren musste. Und wegen genau einer dieser Sachen, die er gerne hatte, war ich nun auch auf den Weg in Richtung Süden. Es fühlte sich zum einen seltsam an, dorthin zu fahren und ihm etwas abzukaufen, was ihm wirklich am Herzen lag, andererseits wusste er, dass „Erich“, wie ich den 50er-Jahre-Oldtimer genannt habe, bei mir in guten Händen sein würde. Nach rund zweieinhalb Stunden Fahrt rollte ich bei ihm auf das Grundstück und sah Erich – zum zweiten Mal in meinem Leben live. Und für euch wird es nun das erste Mal sein:
Darf ich vorstellen? Das ist Erich – der Neuzugang im Watt’n Schrauber-Fuhrpark. Und auch wenn es ein Oldtimer ist, ist es sicherlich nicht die Art von Oldtimer, die ihr euch bei mir vorgestellt habt. Ich habe mir einen alten Trecker gekauft. Also einen Traktor. Oder einen Schlepper – je nachdem, aus welcher Region Deutschlands ihr kommt. Ich werde ab jetzt „Trecker“ sagen. Erich ist ein Eicher LH12 aus dem Jahre 1959. Er wird angetrieben durch einen 1-Zylinder-Dieselmotor (einen Hatz E89 FG, um genau zu sein) mit 12 PS und 667 Kubikzentimetern. Der Gute ist mit einem Mähbalken und einem Radgewicht ausgestattet, außerdem hat er eine Heckhydraulik. Und eine mehr oder weniger gemütliche Sitzbank auf dem Kotflügel. Ich könnte euch nun noch sagen, dass der Eicher LH12 von der Firma Eicher damals als kleiner Plantagentrecker entwickelt wurde – aber da hört es dann auch schon auf. Viel mehr weiß ich nicht.
Eine Reise in die Vergangenheit
Um ganz ehrlich zu sein – Oldtimer-Trecker gehörten nie so richtig zu meinen Steckenpferden. Wobei ich auch nicht sagen kann, dass ich nicht nichts wusste. Mein Schulfreund Jan Marten hatte einige alte Fendt und Ferguson, mein Kumpel Harm hatte ebenfalls einige Ferguson-Trecker, ich glaube sogar einen Allgaier. Und natürlich kannte ich Eicher, weil mein Onkel (Hermann heißt er übrigens) den blauen Schlepper besaß. Schon als ganz kleiner Junge wollte ich immer wissen, ob Hermann den Eicher noch hatte, wenn meine Eltern mal mit ihm telefonieren wollten, war dann aber meistens viel zu aufgeregt, um selbst zu fragen. Irgendwie faszinierten mich damals schon Oldtimer und alte Geräte. Es konnte mit mir also gar nicht anders enden. Als Hermann mir erzählte, dass er den Eicher nun auch verkaufen wollte, war mir (und wohl auch ihm) klar, dass er bei mir landen würde. Auch wenn ich für einen Trecker eigentlich gar keine Verwendung habe – und bevor ich ihn auf den Trailer fahren konnte auch erst einmal eine Einweisung brauchte, wie man so einen Eicher LH12 überhaupt fährt.
Und wenn man weiß, was all die Hebel und Pedale machen, fährt er sogar recht gut – nur recht langsam. Bei Erich ist – obwohl er zwei Mal eine neue Kupplung bekam – die Kupplung anscheinend kaputt. Die trennt nämlich nicht, was gerade das Abladen von einem nassen Trailer relativ spannend macht, aber das könnt ihr im Video sehen. Dadurch, dass die Kupplung aktuell nicht trennt, bekommt man mit viel Gefühl auch nur die Gänge im „Kriechgangmodus“ rein, wenn man ihn denn so nennt. Denn eigentlich hat Erich sechs Vorwärtsgänge und zwei Rückwärtsgänge, auch wenn auf dem Schaltknüppel nur drei Vorwärtsgänge und ein Rückwärtsgang abgebildet sind. Mit einem zweiten Hebel kann man nämlich zwischen „langsam“ und „schnell“ umschalten. 18 km/h Höchstgeschwindigkeit soll Erich so schaffen. Mit den Gängen, die ich einigermaßen sanft reinbekomme, sind es aktuell vielleicht 0,5 Kilometer pro Stunde. Mein Vater hat mich zu Fuß mit Krücken überholt.
Wer oder was ist Eicher?
Doch auf Geschwindigkeit kam es den Gebrüder Eicher – Söhne des Inhabers einer Opel-Vertretung – auch gar nicht an, als sie 1936 den ersten Schlepper auf den Markt brachten. Wäre ja auch komisch gewesen. Nachdem sie erst versucht hatten, einen Mähbalken an ein Auto bauen, es aber nicht so richtig geklappt hatte, bauten sie ihren ersten, eigenen Trecker. Und der kam so gut an, dass sie sich entschieden, sich damit selbstständig zu machen. Besonders zur Zeit des Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren florierte ihr Geschäft. Eicher verkaufte nicht nur Schlepper, sondern auch die passenden Maschinen. In den 70er Jahren gingen die Verkaufszahlen von Eicher-Schleppern dann schlussendlich zurück – und Massey-Ferguson übernahm die Marke. Doch schon 1982 musste Ferguson die Marke wieder verkaufen – und Eicher ging nicht nur bis zur ersten Insolvenz in den 80er Jahren durch verschiedene Eigner, sondern auch bis zur zweiten Insolvenz 1992. Heute werden Eicher-Schlepper nicht mehr in Deutschland verkauft, aber immerhin noch von „Eicher Goodearth“ in Indien vertrieben. So lebt der Name noch ein bisschen weiter.
Und auch bei mir wird die Marke nun weiterleben. Auch wenn ich keine große Verwendung für Erich oder überhaupt eine Ahnung von Treckern habe, möchte ich das lernen und den Stolz meines Onkels so weiterpflegen und weiterführen, wie er es für seinen Vater getan hat, der den Trecker 1985 gekauft hatte. Inzwischen habe ich schon rausgefunden, dass die Beleuchtungsanlage nicht sonderlich gut funktioniert – und die Blinker überhaupt nicht. Der Hydraulikzylinder der Heckhydraulik ist undicht und von der Kupplung habe ich ja schon geredet. Auch sind die Embleme alle ausgeblichen oder mit blau überlackiert. Das Blau von Erich ist übrigens einen Hauch dunkler als der originale Lack. Relativ großzügig wurde da mal lackiert, auch die Holzlatten des Sitzes. Die hätte ich gerne wieder in Holzoptik wie die Lampen und den Luftfilter in schwarz und schwarz/rot. Dann bräuchte er noch einen Service mit allem Pipapo – und ein paar Überraschungen hat er bestimmt noch parat. Aber um euch noch ein genaueres Bild von Erich zu machen, schaut doch einfach mal ins Video:
Ihr seht schon – Erich hat es mir ein bisschen angetan. Ihr werdet also in Zukunft auch ein bisschen was über alte Dieselmotoren und Schleppertechnik erfahren. Und eigentlich würde ich Erich auch gerne einmal zur Arbeit bewegen, in Dithmarschen gibt es immer die historische Kartoffelernte. Nicht, dass ich wüsste, was ich da überhaupt machen könnte – aber irgendwie hätte ich tatsächlich Lust, in die Welt der historischen Landmaschinen einzutreten. Falls ihr wisst, was ich da gekauft habe, was all die Hebel machen, wo ich Ersatzteile bekomme und worauf ich achten sollte, dann schreibt mir gerne über Facebook, Instagram oder auch per Mail oder Kommentar. Ich bin auf alle Fälle mächtig neugierig, was für Abenteuer der kleine Eicher mir noch bescheren wird, wie oft ich noch gefragt werde, ob ich „Resi“ kennen und sie abholen würde. Erich scheint es an der Nordsee übrigens zu gefallen.
Vielleicht ernten wir ja sogar mal Kartoffeln.
Vielen, lieben Dank an Karsten für das Leihen des Trailers!
Hey Lars,
ich hab es ja nicht so mit den „sozialen“ Netzwerken…
…deswegen mal wieder hier ein Kommentar (bin ich der Einzige?) von mir.
Traurige Geschichte, die du da schreibst, ich hab dabei einen Kloss im Hals. Zuviele Familienmitglieder hab ich in den letzten Jahren beerdigt. Schön das du den Eicher zu dir geholt hast.
Den S6 C4 V8 meines verstorbenen Vaters zu behalten und ihn zu erhalten hatte ich nicht den Mumm. Oder die Brieftasche, die Kisten können im Gegensatz zu deinem Eicher ein Groschengrab sein. Und Arbeit war angesagt, Köpfe abdichten, Fahrersitz polstern und noch so Einiges mehr. Dagegen ist ein Eicher ja eigentlich Spielkram, der Hatz hat keine echten Geheimnisse.
Ich „benutze“ ja alte Trecker eines Ex-Kollegen aus dem Nachbardorf regelmässig, weil ich viel Holz machen muss. Du kennst ja unser Haus, es wird nach wie vor komplett mit Holz beheizt. So ein kleiner ist tatsächlich nicht dabei, das kleinste sind Fendt Farmer 3-Zylinder aus den 60ern. Der Kollege ist 75 und immer noch Nebenerwerbslandwirt, hat eine ganze Sammlung an Fendt-Treckern und einen Porsche, 50er-80er. Bis auf den Porsche sind die immer mehr oder weniger einsatzbereit. Ich muss da regelmässig mal bei der Technik anpacken damit mein Holz auch klein wird…
Zum Spalten reicht der Eicher aber sicher auch, wenn die Hydraulik mal wieder heile ist. Für eure Kartoffelernte hätte ich noch einen Lanz-Kartoffelroder auf dem Hof. 30er Jahre schätze ich, steht hier als rostende Deko im Garten, aber funktioniert noch….
Ich weiss bis heute nicht, was ich damit machen soll. Hab ich mal für geschenkt abgeholt, damit er nicht im Hochofen landet.
Ich mag den nützlichen alten Ackerkram, für den Selbstwerber im Wald oder den Kartoffelzüchter mit einem halben Hektar sind das auch heute noch sinnvolle Geräte. Und bis in die 80er wurden die fast alle für ein echt langes Leben gemacht. Halte den Eicher in Ehren, du wirst sicher sinnvolle Aufgaben für ihn finden.
Übrigens: Ein Frontlader ist immer Gold wert.
Schöne Grüsse und weitermachen!