Bremer Boston-Basteln

Junge Leute interessieren sich doch nicht mehr für alte Autos. Oder etwa doch? Das wollte die Bremen Classic Motorshow herausfinden – und lud junge Leute zu sich ein.

Ich weiß, ich weiß.

Jetzt komme ich mit einer Geschichte aus Februar um die Ecke, obwohl schon fast wieder Februar ist. Aber es gibt einen guten Grund, warum ich euch hier über einen Golf II als Sondermodell „Boston“ (der nicht einmal mir gehört) und von einer verdammt coolen Aktion erzähle. Aber dazu später mehr – fangen wir mal ganz chronologisch vorne an. Seit 22 Jahren startet die Bremen Classic Motorshow am ersten Februar-Wochenende im Jahr die Oldtimer-Saison des Jahres. 2019 verschlug es mich zum ersten Mal auf die Oldtimermesse in der Hansestadt an der Weser. Und um ehrlich zu sein? Ein bisschen kritisch war ich schon. Vor fünf Jahren war ich noch Anfang 20 und fühlte mich oft in der Oldtimer-Szene nicht so richtig ernst genommen. Sprüche wie „Du bist zu jung für sowas“, „Das ist nichts für junge Leute“ oder sogar schlichtes Ignorieren gehörten damals irgendwie noch dazu. Zumindest waren das auch die Erfahrungen, die mir gleichaltrige Oldtimerfans berichteten. Also dachte ich, dass ich die Fahrt nach Bremen nutze und mal schaue, ob der Oldtimer-Nachwuchs dort wirklich erwünscht wäre – und über die Ergebnisse meiner Eindrücke schrieb ich damals auch einen kleinen Bericht: BCM 2019 – Oldtimernachwuchs erwünscht? Daraufhin nahm Frank Ruge, Projektleiter der Bremen Classic Motorshow, Kontakt mit mir auf und wir sprachen darüber, was junge Oldtimerfans so anspricht.

Springen wir mal ein paar Jahre weiter. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich inzwischen ein paar Jahre älter geworden bin oder ob es tatsächlich so ist: Ich finde, dass die Oldtimerszene eindeutig jünger und Oldtimerfans gesetzteren Alters deutlich toleranter geworden sind. Und so dachte sich Frank Ruge, dass er dem „Klassiker-Nachwuchs“, wie das Projekt benannt wurde, 2024 nun eine eigene Fläche zur Verfügung stellen wollte. Ein großer Schritt, wie ich finde. Und ein cooles Zeichen an den Nachwuchs unseres Hobbys. Wirklich Geld macht so eine Messe mit einer Fläche nicht, die nicht an einen solventen Aussteller vergeben wird. Umso mehr freute ich mich, als Frank mich anrief, ob ich beim Gestalten dieser Fläche nicht mithelfen wollen würde. Über viele Meetings hinweg wurde die große Fläche mit Ideen und Exponaten gefüllt. Auch meine Idee, ein kleines Live-Schrauber-Projekt auf der Messe zu zeigen, wurde angenommen. Ich finde es immer schade, wenn Leute sich ihren Traum von einem alten Auto nicht erfüllen, weil sie Angst vor der Technik haben. Meist ist sie simpel – und das wollten wir zeigen. Erst wollte ich mir einen alten Peugeot 204 Diesel zulegen, der sich aber als ziemlich rostig herausstellte. Ein Polo 86C für kleines Geld wurde in genau der Sekunde verkauft, als ich anrief. Und ein Porsche 924 hatte plötzlich keine Papiere mehr passend zu der Fahrgestellnummer. Und dann lernte ich Jarno und Silas kennen.

Das Projekt

Frank gab mir den Tipp. In der Nähe von Bremen würden zwei junge Brüder wohnen, die das Hobby Altauto genauso leben wie ich. Silas, der jüngere von beiden, hätte den Golf 2 des 2023 verstorbenen Autors und freien Mitarbeiters der Bremen Classic Motorshow Björn Hermann gekauft, der auf der Messe fitgemacht werden könnte. Ich fand die Geschichte cool – und so machte ich mich einen Sonntag auf den Weg in Richtung Bremen, um Jarno kennenzulernen und den Golf zu begutachten. Nicht nur Jarno fand ich auf den ersten Blick sympathisch, auch den Golf fand ich ein cooles Projekt. Und so kam es, dass ich im Februar meinen Golf packte, um bei der Rettung eines anderen Golfs live vor Publikum zu helfen. Der Zweier Golf hatte sein Dasein einige Jahre in einer Scheune verbracht, nachdem er Björn vorher als Alltagsauto gedient hatte. Der fünftürige Boston in grau sah recht fit aus, aber technisch gab es ein paar Sachen zu tun: Neben den Bremsen musste ein bisschen was am Fahrwerk passieren, außerdem brauchte der Golf einen großen Service mit Zahnriemen und gab es hier und da auch ein paar kleine optische Retuschen. Außerdem hatten wir keine Ahnung, ob der Wagen laufen würde, als wir den Stand neben dem Scheunenfund-Manta-GSI von Paul-Moritz und der Zweirad-Ausstellung von Jelto aufbauten.

Umso gespannter waren wir auch, wie das Projekt ausgehen würde, als wir am Freitagmorgen (kurz vor Messebeginn), den Wagen aufbockten und fertig zum Schrauben machten. Vor allen Dingen hatten weder Silas, den ich nun auch kennenlernen durfte, noch Jarno oder ich live vor Publikum geschraubt. Wissend, wie tollpatschig ich sein konnte, hatte ich mir eine Menge Pflaster bereitgelegt, die ich sicherheitshalber schnell griffbereit auf die Werkzeugkiste legte. Per Hand schrieben wir auch noch schnell ein paar To-Do-Listen, die wir aushingen. Schließlich wollten wir zeigen, was wir machen. Ricarda, deren 240D ihr auf diesem Bild im Hintergrund stehen seht, hatte uns auch noch einen coolen Vorstellungstext gelayoutet, der ebenfalls am Rande unserer Fläche stand. Ersatzteile hatten Jarno und Silas alle besorgt, ich hatte für ein paar Aufstellböcke und Pflegemittel gesorgt – und so waren wir dann eigentlich auch gewappnet.

The first screw ist the tightest.

Es ist wirklich verdammt komisch, vor Publikum zu schrauben. Es standen ungefähr 30 Leute um uns herum, als ich die erste Mutter- eine Ventildeckelmutter – lösen wollte und die so fest war, dass ich mir sicher war, ich würde gleich den Stehbolzen abreißen. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ich hätte noch mehr Sympathie mit Zootieren, als ich es sowieso schon hatte. Man fühlt sich echt beobachtet. Auch Silas und Jarno ging es so. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase haben wir dann aber tatsächlich richtig losgelegt und sind dem Golf auf die Pelle gerückt. Für feste Schrauben hatten wir schließlich Rostlöser und einen Schlagschrauber dabei. Lass rattern!

Und das haben wir die ganze Zeit über getan. Zwischendurch wurden wir immer mal unterbrochen – aber waren davon nicht genervt. Wir bekamen coole Geschichten von Besuchern zu hören, die selbst einen Golf 2 besitzen oder besaßen und auch viele Pressevertreter freuten sich über unser Projekt. Die Zevener Zeitung war so begeistert, dass sie es sogar abdruckten. Zwischendurch kam auch Smilla – auch Mitglied des Klassiker-Nachwuchs-Teams – und machte coole Storys von unserem Projekt für den Insta-Kanal. Die coolste Werbetrommel für unsere Ecke des Standes war übrigens eindeutig Jarno mit seinem Schlagschrauber. Wann immer es um unseren Stand etwas Licht wurde, musste Jarno nur kurz mit dem Schrauber knattern und schon hatten wir wieder scharenweise neugierige Leute um uns herum. Und auch sehr viele junge Leute, die uns nach Tipps fragten. Richtig cool fand ich, als Ricarda, die uns  wie auch Paul-Moritz beim Schrauben unterstützte, von einer Fahranfängerin angesprochen wurde, die unbedingt einen W123 als erstes Auto haben wollte.

I’m shipping up to Boston

Aber natürlich ging es auch mit dem Boston fleißig weiter. Während Silas die hinteren Bremsen erneuert hatte, steckte Jarno schon mit beiden Armen im Maschinenraum und wechselte den Zahnriemen des 1,8-Liter-Vierzylinders mit 90 PS. Ich kümmerte mich langsam darum, den Dreck der letzten Jahre aus dem Motorraum und von der Karosserie zu bekommen. Zwischendurch merkten wir dann aber doch, dass wir nicht alle Teile parat hatten. Ein Rücklicht bekamen wir von einem richtig netten Besucher vorbeigebracht, ab und zu mussten wir über die Messe schlendern, um Teile zu organisieren und um auch mal etwas zu essen. Aber eigentlich konnten wir die Messe erst so richtig nach Feierabend begucken. Zwischendurch bekamen wir von Ape-Experten Bennett und Karosseriebau-Gott Fynn zu hören, wie viel auch auf dem restlichen Nachwuchsstand los sei.

Drei Tage schraubten, wienerten und fluchten wir. Eigentlich war es der Plan, dass Silas und Jarno den Golf auf eigener Achse wieder nach Hause fahren würden – und auch wenn der Motor für kurze Zeit lief und wir uns mit Freudentränen in den Augen in den Armen lagen, starb die Benzinpumpe nach ungefähr zwei Minuten. Und die hatten wir leider nicht parat – und auch der Versuch auf der Messe etwas mit einer anderen Pumpe zu improvisieren hat nicht geklappt. Der Kraftstoffdruck passte einfach nicht. Auch, wenn es uns ein bisschen gewurmt hat, dass der Golf schlussendlich tatsächlich wieder auf den Trailer geschoben werden musste, war es für uns trotzdem eine richtig coole Aktion. Wir haben nicht nur viele (junge) Leute ansprechen und ihnen vielleicht auch die Angst vor dem Schrauben und der Technik nehmen, wir haben auch neue Freunde gefunden, die wir nicht mehr missen möchten.

Schaut vorbei!

Und nun fragt ihr euch sicherlich, warum ich euch das alles erzähle, fast ein Jahr, nachdem die Messe vorbei ist. Und vielleicht auch, warum ich euch ein Bild von meinem 200E namens „Krümel“ zeige, den ich letztes Jahr für 400 Euro gekauft habe. Na… ganz einfach! Auch auf der nächsten Bremen Classic Motorshow wollen wir euch wieder zeigen, dass es eigentlich gar nicht so schlimm ist, ein altes Auto zu reparieren. Und als Opfer haben wir uns Krümel ausgesucht. Falls ihr also sehen wollt, wie wir dem alten, unfallgeschädigten W124 zumindest technisch wieder neues Leben einhauchen (Schweißen geht auf einer Messe natürlich nicht), dann schaut unbedingt zwischen dem 31. Januar und dem 2. Februar in Bremen vorbei. Alle Infos findet ihr auf der Website: Bremen Classic Motorshow Und nein – bezahlt wurde ich für diesen Beitrag von der Messe nicht. Ich würde mich einfach nur freuen, euch zu dort zu treffen und euch über die Schulter schauen zu lassen.

Der kreativste Verletzungs- oder Rostwitz bekommt einen Crêpe von mir ausgegeben.

Meinetwegen sogar mit Senf.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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