Brokstedt 2017 – Handeln erwünscht!
Wie auch in den letzten Jahren besuchte ich den Anschluss-Teilemarkt in Brokstedt. Das erste Mal für mich in einem Oldtimer – und der erste Teilemarkt für einen Kumpel.
„Komm, fünfzich is doch nu ma echt geschenkt!“ Der Verkäufer hat ein echt breites Kreuz und hat von oben bis unten schwarzbunte Bilder auf seiner Haut. Unter seinem schwarzen Hut schaut ein blonder Zopf heraus. Er grinst mich an. Ich grinse zurück. „Nee, fünfzich is mir zu viel. Dann lass ich ihn lieber stehen.“ – „Wadde, das letzte Wort ist ja noch nicht gesprochen.“ Ich schaue rüber zu meinem Kumpel Jürgen, der uns beide grinsend anschaut. Ich schaue den Verkäufer skeptisch an. „Wat hast du dir denn so vorgestellt?“ Ich stecke mir die Hände in die Hosentaschen. Das Handeln kann beginnen.
Brokstedt. Brokstedt ist eigentlich eine kleine Gemeinde irgendwo in Schleswig-Holstein. Ich glaube, es würde niemand nach Brokstedt fahren, wenn man dort nicht gerade wohnt (und es ist schön dort!), mit dem Zug durch den Ort fährt oder das Navi einen Aussetzer hat und man falsch abbiegt. Wenn, ja, wenn Brokstedt nicht einen Motorsport-Club hätte, den.. äh.. MSC Brokstedt. Ein recht aktiver Verein. Zwei Mal im Jahr gibt es dort auf der Speedwaybahn einen Oldtimer-Teilemarkt und Himmelfahrt das wohl größte Lanz-Bulldog-Treffen in Norddeutschland, wenn ich Wikipedia glauben darf.
Eintrag ins Logbuch.
Sonntag, der 15. Oktober 2017. In meinen Händen fühle ich das „Spucknapflenkrad“ von „Henkelmännchen“, unserem silber-roten, inzwischen siebenunddreißig Jahre alten Golf Cabriolet. Die Heizung heizt, das Licht versucht sich durch den dicken Nebel zu kämpfen. Ich fahre über die Grünentaler Hochbrücke. Der Vierzylinder läuft wie eine Nähmaschine. Das Radio krächzt schief irgendein Lied heraus, das mir überhaupt nicht bekannt vorkommt. Neben mir sitzt Jürgen, mein Luxus-Italiener beschraubender Kumpel aus dem Allgäu, der einigen, treuen „Watt’n Schrauber“-Lesern von Geschichten wie „Der Kunde ist Könich“ bekannt sein könnte. Er macht nicht nur gerade Urlaub im Norden und besucht mich, sondern schaut auch aus dem Seitenfenster des kleinen Cabriolets und versucht den Nord-Ostsee-Kanal zu erblicken. Man sieht nur Nebel. Es ist für uns beide eine Premiere. Ich war noch nie mit einem Oldtimer in Brokstedt, Jürgen überhaupt noch nie auf einem Teilemarkt. Das Wetter soll gut werden, das Auto läuft bestens. Schöner geht es kaum.
Nach gut eineinhalb Stunden Fahrt (Natürlich nicht über die Autobahn, sonntags hat man Zeit! Außerdem bringt Henkelmännchen auf Landstraßen echt viel Spaß…) stelle ich den Motor ab und streichle Henkelmännchen über das Lenkrad und lobe ihn innerlich. Ich erschrecke kurz, als Marek (Betreiber des Blogs „MarschZylinder„) gegen die Seitenscheibe klopft und uns begrüßt. Jürgen und ich steigen aus Henkelmännchen aus, ich strecke einmal kurz meinen Rücken (So langsam geben die alten GTI-Sitze doch mal auf…) und begrüße den Karmann Ghia-Fahrer, der zeitgleich mit uns angekommen ist. Es wird sich hier aber nicht erst lange „im Schnack aufgehalten“, wie wir hier im Norden sagen. Es werden Beutel in die Taschen gestopft, das letzte Kleingeld aus der Türverkleidung zusammengekratzt und dann geht es los mit der Schnäppchenjagd. Ich verschließe Henkelmännchen, tätschel ihm noch einmal über die Haube und schaue auf die Menschenmenge, die in Richtung Eingang rennt. Ich schaue Jürgen und Marek an – wir rennen hinterher.
Das Flair auf so einem Teilemarkt ist immer total spannend. Dort spielt ein Herr mit Melone auf seinem Schifferklavier, während beim Stand gegenüber ein Einzylinder-Dieselaggegrat mit extrem wenigen Umdrehungen sich langsam warmtuckert. Überall sieht man rostige Ersatzteile, von denen wohl nur noch wenige Leute wissen, wozu sie wirklich gehören. Zwischendrin immer mal wieder anderer, alter Trödel. Hier ein Bakelit-Telefon, dort ein altes Verkehrsschild, auf dem Boden steht vielleicht noch eine Milchkanne neben dem Unterteil eines alten Bürostuhls. Nicht nur meine Augen gehen suchend die Stände ab, auch Jürgen findet das alles total klasse und macht mich auf die ein oder andere Kuriosität aufmerksam. Um uns herum grüßen sich Menschen, rauchen eine herrlich nach Vanille duftende Pfeife oder verhandeln lautstark. Nicht, weil sie böse sind, sondern weil die Kreidler am Stand nebenan gerade einmal angeschmissen wurde. Der Endpott fehlt.
Eigentlich brauche ich nichts. Henkelmännchen läuft gut und auch Elsa läuft gut. Aber einige Sachen wären halt „Nice-to-Have“. Ein 23er und ein 25er Maulschlüssel zum Beispiel. Eigentlich Schlüsselweiten, die man nicht so oft braucht. Außer, man fährt einen alten Volvo. Jürgen hilft mir beim Durchwühlen der Kiste mit Maulschlüsseln. Wir werden fündig. „Wie viel sollen denn die beiden kosten?„, frage ich den Verkäufer vorsichtig. „Sieben Euro.“ – „Für fünf nehme ich sie.“ – „Na, dann gib mal her.“ Ein Schnäppchen. Einer ist von Gedore, der andere ist noch aus DDR-Zeiten und scheint ähnlich robust. Ich bin zufrieden und stecke die beiden Schlüssel (ganz umweltbewusst) in meinen mitgebrachten Stoffbeutel, als ich bewundernd an dem alten Deutz-Trecker vorbeilaufe, dessen Diesel sich gerade im Leerlauf schüttelt.
Der Magen knurrt, wir stehen am Imbisswagen und warten auf unsere Currywurst-Pommes. Die geht immer. Die Sonne scheint so langsam echt krass vom Himmel herunter, außerdem müssen wir uns stärken. Rückleuchtenraten ist anstrengend. Ein super Spiel für jeden Autofreak auf dem Teilemarkt. „Golf 1!“ – „Nee, der hatte den Rückfahrscheinwerfer woanders.“ – „Sicher? Aber das daneben ist C-Kadett!“ – „Jup! Isses! Und dahinter VW Derby!“ – „Oder Polo 1“ – „Der Kotflügel da ist aber vom Kadett B“ – „Ich denke, wir schauen auf Rückleuchten. Könnten aber auch Ascona-Kotflügel sein.“ – „Stimmt, Ascona A.“ – „Genau. Und daneben liegen W116er-Rückleuchten.“ – „Jup!“ Autofreaks haben manchmal halt wirklich einen Schaden. Aber dafür sind sie meistens recht lieb und tun einem nichts ;-). Die nette Bedienung reicht uns unser Mittagsessen über die Theke. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen. In der Sonne.
Der Magen füllt sich mit leckerer Currywurst, die Pommes rutschen dazwischen. Die Sonne brennt. Das Handy piept. Ich hole mein altes Nokia aus der Tasche. Alex, den ich vor einigen Monaten – am Vatertag – kennenlernte, als wir gerade zusammen auf der Motorhaube eines Ford Taunus gelegen haben, hat mir eine SMS geschrieben, wo wir denn wären. Und so. Der Betreiber der Seite „Hallenwerke“ ist aus Kiel ganz mit seiner Vespa-Ratte angereist. Wenn ich mir vorstelle, ich mit meiner Zündapp… gut, die Vespa ist schneller. Aber ich glaube, ich bevorzuge doch eher das Auto. Ich frage mich kurz, wie es Henkelmännchen so geht, während ich Alex eine Antwort tippe. Leider werden wir uns an diesem Tag immer wieder verpassen. Aber manchmal ist es halt so im Leben. Der letzte Happen Currywurst rutscht noch die Speiseröhre runter, als wir uns auf den Weg machen, den Markt weiter zu erkunden.
Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als ich ihn fand. Ihn, den ich eigentlich nicht brauche und für den kein normaler Mensch wohl mehr Geld ausgeben würde. Ein alter Mercedes Kühlergrill. Stark patiniert. Ich schätze auf Heckflosse, oder so. Laut Plakette hing er an einem „200D“. „Der war mal langsam, der passt zu dir!“, unkt Jürgen. Im Kopf sehe ich ihn schon an der Wand in meiner Garage hängen…
„Dreißich hatte ich mir so vorgestellt.“ – „Nee, das ist viel zu wenich. Das Gitter ist gut und… da wo der Stern fehlt, lötest du dir halt was ran.“ – „Ich bin Student, ich hab kein Geld!“ – „Wat? Ihr Studenten macht doch immer Party! Natürlich habt ihr Geld.“ – „Genau deshalb habe ich doch kein Geld!“ – „Gib mir fünfundvierzich und gut is.“ – „Nee.“ – „40? Da is noch n 200D-Schild dran.“ – „Hab ich noch liegen.“ – „35? Das ist aber der letzte Preis.“ – „Für zweiunddreißig nehme ich ihn.“ – „Aber wehe, du bringst ihn wieder!“
Wir haben genug gesehen. Mit einem Beutel voller Kleinteile in der einen und einem rostigen Mercedes-Kühlergrill in der anderen Hand schlendere ich neben Jürgen zurück zu Henkelmännchen, als mir die Haubenspitze eines grünen Volkswagen auffällt. Viperngrün, um genau zu sein. Ich schaue auf die Felgen, dann auf das Hamburger Kennzeichen. Er ist es! Der grüne Passat TS von Olaf, dem Betreiber des OST-Blogs. Den muss ich mir anschauen! Auch Jürgen kennt den Wagen von meinen Mails, in dem ich fleißig Links zur der guten Arbeit geschickt habe, die Olaf bei dem Passat geleistet hat. Und wie gut! So sauber und hübsch ist der Passat in den siebziger Jahren bestimmt nicht gebaut worden. Ich bin kurz froh, dass Henkelmännchen noch ein ganzes Stück weiter parkt. Neben dem Passat würde er (und wehe, ihm sagt es mal einer!) wie eine runtergerockte Gurke aussehen. Ich habe kurz ein schlechtes Gewissen und nehme mir vor mich im Winter ein wenig um die Optik zu kümmern. Und um die Polsterung des Fahrersitzes.
Wir schlendern noch ein wenig durch die Reihen der geparkten Oldtimer. Jürgen schwärmt über dieses Auto, ich über jenes. Bei keinem Auto sind wir wirklich einer Meinung – außer bei einem weißen VW Typ 3, den wir beide echt schick finden. Aber das ist ja auch das Schöne an dem Hobby „Auto“. Jeder findet etwas anderes toll. Jürgen könnte sich vorstellen einen Cadillac zu fahren, was ich niemals machen würde. Ich mag hingegen HotRods, die er wiederum nicht toll findet. Zum Glück kann jeder das Hobby so leben, wie er möchte. Genügend Möglichkeiten für Kreativität und für das Ausleben des Lebenstils gibt es ja
Wir schauen noch kurz einem alten Magirus Merkur beim Kaltstart und beim Losfahren zu, bevor wir zurück zu Henkelmännchen gehen, den Deckel aufklappen, uns alberne Sonnenhüte aufsetzen und wieder in Richtung Nordsee fahren. Zwischendurch vergesse ich einmal abzubiegen, während Jürgen gerade das Armaturenbrett von Henkelmännchen zerlegt und nach einem Kkkkklappergeräusch sucht. Und immer wieder reden wir über geile, alte Autos, die wir heute gesehen haben. Egal ob ganz oder in Teilen. Wir beide sind begeistert. Und das ist ja das Tolle an einem Hobby. Es bringt Spaß.
Und was mache ich nun mit dem Mercedes-Grill…?
2 Responses
[…] ist es eh zu kalt, um offen zu fahren. Mit Jürgen fuhr ich dann auch in Henkelmännchen nach Brokstedt – der erste Oldtimerteilemarkt für Jürgen. Danach wurde es mit den „Oldies“ […]
[…] an auch mal eine Currywurst zu verspeisen. Am liebsten aber mag ich das Verhandeln. Ich liebe es, um den Preis zu feilschen. Wenn ich mit lustigen Argumenten den Preis auf ein für mich erträgliches Maß gedrückt und […]