Weinabend, hart am Wind.
Keinen Alkohol zu trinken, aber trotzdem auf einen Weinabend zu gehen ist doof, oder?Nicht, wenn der Sandmann ruft. Männer, Autos und viel Wein, irgendwo in Dänemark.
„Lars, Frühstück ist fertig!“ Es klopft an mein Fenster. Verwirrt schrecke ich hoch und schaue mich um. Mein Bett ist das nicht, da bin ich mir sicher. Ich reibe meine Augen und denke kurz nach. Ein Blick durch den Vorhang, der hinter mir hängt, gibt meinen noch recht verschlafenen Gedanken recht. Durch die beschlagene Scheibe sehe ich die Silhouette eines Knudsen-Taunus. Als Coupe. Ich bin also wirklich in Dänemark. In Henne Strand, um genau zu sein. Ich ziehe den Vorhang wieder zurück und lasse mich noch einmal in das weiche und noch warme Kopfkissen fallen. Ich fühle mich entspannt und ausgeruht – eigentlich komisch, nach so einem Abend. Und nach so einer Nacht. Eigentlich ja eine ziemlich verrückte Aktion… Ich erzähle es euch einfach mal.
„Freunde des gepflegten Abends…“
Alles begann mit dieser Einladung. Jens, vielen besser bekannt als der „Sandmann“ vom Blog „Sandmanns Welt„, lud zu einem Weinabend ein. In Henne Strand sollte der stattfinden, also an der dänischen Nordseeküste – oder am Ende der Welt. Das ist wohl synonym zu gebrauchen, gerade im November, wenn alle Klischee-Touristen ihre Winterdepressionen lieber in einer Plattenbau-Wohnung in irgendeiner Großstadt aussitzen. Dann lieber gemeinsam einsam. Natürlich sagte ich sofort zu – auch, wenn ich keinen Alkohol trinke, aber einen Benzinabend mit coolen Leuten, wie Jens ihn versprach, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Einfach mal raus aus dem Alltag. Mal abschalten. Einfach mal etwas Anderes sehen. Und Nordsee? Geht immer. Ich weiß das, ich wohne da ja. Aber halt nicht in Dänemark.
Ich war spät dran. Ich konnte da auch fast nichts dafür. Erst vergaß ich die Brille, die ansonsten die meiste Zeit auf meiner Nase wohnt, dann erzählte mir ein Bankautomat, dass meine Karte gesperrt wäre. Anscheinend ist es für einen Studenten keine gute Idee, dreieinhalb Autos zu unterhalten. Egal – dann halt ohne Geld. Ein Hotel hätte ich ja schon mal nicht bezahlen müssen, denn das hatte ich dabei. Entgegen allen „Watt’n Blödmann, du willst doch nicht im November im Auto schlafen!“ und „Im Haus ist für dich auch noch ein Platz frei!“-Ausrufen war mein Bett schon bei der Abfahrt gemacht. Im Kofferraum meines alten Golf Variants „Harald“ lag auf einer dicken Matratze mein Schlafsack, eine dicke Federdecke und ein Kissen. Für die Scheiben hatte ich mir als Dämm- und Sichtschutz extra Isolierungsplatten aus dem Sanitärbereich zugeschnitten, als Vorhang zu den vorderen Sitzplätzen sollte Malerflies über eine alte, kaputte Gardinenstange dienen. Was ich halt so finden konnte. Prototypenbau für kommende Roadtrips.
Die kürzeste Anreisestrecke hatte wohl ich. Nur gut zweihundertundzwanzig Kilometer wären es nach Henne Strand, verriet mir Google. Gut zweieinhalb Stunden sollte ich dafür einplanen. Ein bisschen spät dran, aber eigentlich noch rechtzeitig startete ich „Harald“ und fuhr in Richtung Norden. Der Wagen war übrigens nicht mein Favorit für diese Reise. Elsa hält aber schon Winterschlaf (Davon erzähle ich euch ein anderes Mal), Henkelmännchen wartet auf neuen Frostschutz für seinen Kühler und mein Elch, mein treuer V40? Der wäre mein Favorit für die Tour gewesen, aber das Bett hat leider nicht in den Wagen gepasst. Ich hätte aber auch das Fahrrad nehmen können, ich wäre wohl genauso schnell an der Grenze gewesen. Naja, zumindest fast. Endlose Schlange hinter langsamen Landmaschinen, verwirrten Touristen, die in Husum zwei Grünphasen abwarteten und mitten auf der Straße fahrende Lastkraftwagen verlangsamten meinen Roadtrip doch um einiges. Aber deshalb wollte ich mich nicht aufregen. Ich drehte am Lautstärkeregler des alten Kassettenradios und zappte die Radiosender durch, bis sich etwas Gutes fand. Der Weg zur deutsch-dänischen Grenze wurde so doch ein wenig erträglicher…
Genau für das Gegenteil sorgten übrigens die schmierigen Scheiben. Es regnete und die Dunkelheit hatte sich über Dänemark schon niedergelegt, als ich an Ribe vorbeifuhr. Zweieinhalb Stunden war ich schon unterwegs und noch gut eine Stunde sollte ich mich über meine Dummheit ärgern. Ich dachte, wenn man sich schon mal mit Autofans trifft, sollte ich meinen „Harald“ vielleicht auch mal vom Dreck des Alltags befreien und gönnte ihm eine Heißwachswäsche. Fehler. Durch Ribe konnte ich durch die schmierigen Schlieren und durch das blendende Licht von Ampels und entgegenkommender Autos kaum etwas sehen. Ein Glück liegt Henne Strand aber ja am Arsch der Welt. Je näher ich meinem Ziel kam, desto weniger Städte (oder überhaupt Ortschaften) waren zu sehen. Außerdem kam mir kaum mehr ein Auto entgegen. Nur ein VW-Bus, der die ganze Zeit drei Zentimeter hinter meiner Heckstoßstange klebte und sein Fernlicht anhielt, nervte mich ein wenig. Kaum sah ich das Ortschild „Henne Strand“, überholte der Bus dann. Er hatte ein Kennzeichen aus dem Kreis Pinneberg. Mir wurde so einiges klar…
Das Finden des Häuschens war übrigens ein Klacks. Die Straße hatte ich schnell gefunden und im Augenwinkel sah ich einen Taunus auf dem Hof stehen. Ich war angekommen. Schnell schnappte ich mir meine sieben Sachen, klopfte an die Tür und wurde von einigen, so heißen Leuten begrüßt, dass sofort meine Brille beschlug. Der Rest vom Abend? Von dem hat euch Sandmann (Kein Weg zu weit) doch bestimmt schon erzählt. Es war toll. Der Wein (für mich Wasser) floss, es wurde Benzin geredet… es wurde spät. Gegen drei Uhr verkroch ich mich in den Kofferraum meines Autos und schlief tiiief und fest…
Und nun? Nun ist der Morgen danach. Es war in der Nacht wirklich warm und kuschelig. Die dicke Decke, der Schlafsack und die Isolierung meines Kombis hielten gut warm – und nun muss ich raus. Das Frühstück ist ja fertig. Im Auto anziehen geht nicht gut. Außer, man hat einen VW Bus. Ich habe nur einen Golf Kombi und habe mir beim Aufstehen schon den Kopf am Innenhimmel gestoßen. Ich wühle aus all dem Müll in meinem Auto meine Hose heraus und suche meinen Pullover, öffne die Tür… und erfriere fast. Drei Grad. Vielleicht auch vier. Zumindest echt kalt. Ein paar junge, hübsche Dänninen laufen gerade an mir vorbei, als ich versuche mich in der Kälte anzuziehen. Sie schauen mich erst verwirrt an, um dann leicht errötet weiter zu gehen. Ich schaue ihnen nicht hinterher, sondern auf den BMW Eta, mit dem Alex hier gestern Abend angekommen ist. Ob Alex noch schläft? Ich laufe ein paar Schritte in Richtung des bayrischen „Sparmodells“. Ja, er schläft noch. Mal schauen, was die anderen so machen.
Kater sind ja meist lustige Tierchen. Vor allem, wenn der andere Menschen am nächsten Morgen besucht. Aber alle sind erstaunlich fit. Maik faltet gerade seine aufblasbare Matratze zusammen, Andreas und Jo unterhalten sich angeregt über ältere Volkswagen. Kai und Markus sitzen zusammen auf dem extrem gemütlichen Sofa und schauen noch einmal Kais Sammlung an Audi-Prospekten durch. Fiene wuselt durch das Haus. Und Sandmann? Der backt Brötchen auf. Hmmmm!
Der Frühstückstisch sieht schon sehr gut gedeckt aus, als ich mich nach einer kleinen Stippvisite zur Toilette neben Jo und Alex (der inzwischen auch aufgewacht ist) auf den Stuhl setze und mir ein Käsebrötchen schmiere. Ich schaue mich um. Alle sehen ein wenig zerzaust aus (Ich bin froh, nicht in den Spiegel geguckt zu haben), aber nicht wirklich fertig. Die Brötchen sind lecker, der O-Saft auch. So lass ich mir Frühstück gefallen. Und wieder geht es um Autos, um Wein, um Musik und um eine physikalische Erklärung, warum es am Abend vorher, stoßweise immer so komischen Wind gegeben hat…
Wir werden komisch angeschaut. Ich bin mir sicher. Ein paar verzauste und müde Männer laufen in zum Strand. Aber natürlich nicht wie im Kindergarten – so mit Zweier-Reihen und Händchenhalten. Der Weg zum Strand ist nämlich von dem kleinen, gelben Häuschen aus nicht weit. Vielleicht fünfhundert Meter? Maximal. Da kann man es auch so wagen. In Henne Strand scheint tagsüber im November sogar doch noch etwas wie Leben zu sein. Gestern Abend sah ich nur Jo mit Hund laufen – und ansonsten keine Menschenseele. Heute fahren alte Ford Ka vom salzige Strand aus (mutig!) zurück in den Kurort. Andere Menschen kaufen ein, einige rennen ihren losgelassenen Drachen hinterher. Henne Strand ist eigentlich so ein richtiger Touristenort. Überall gibt es Läden mit Klamotten, mit Sandspielzeug und mit Drachen. Anscheinend fliegen die hier öfter mal weg. Unterwegs unterhalten wir uns noch über das Aussehen eines Nissan Leafs und machen einem stark nagelndem Opel Combo Platz. Aber irgendwie… irgendwie ist Dänemark schon schön. Als ich heute Nacht einschlief, hörte ich dem Meeresrauschen zu. Und ansonsten? Vollkommene Stille. Zu Hause höre ich immer nur das Rauschen der Windkraftanlagen… da war das Meeresrauschen wesentlich schöner.
Zerzaust sitzen wir wieder in dem gelben Häuschen. Eigentlich wollte ich mich schon vor zwei Stunden auf den Weg machen, aber das Wetter am Strand war nicht gut und aufwärmen muss sein. Wir wurden nass. Und sandig. ( Windige, sandige Welt ) Den Sand zwischen den Zähnen habe ich mir schon herausgeputzt. Wir reden noch ein wenig über alte Autos, über das leckere Chili von gestern Abend und über die Einsamkeit in Henne Strand zu dieser Jahreszeit. Jens scheint es zu genießen, sich mal voll und ganz auf sich zu konzentrieren. Ich kann ihn schon verstehen. Ich brauche auch manchmal Ruhe.
Damit er die hat, machen wir uns alle viel später auf den Heimweg als geplant. Jo und Markus überholen mich irgendwann, weil sie nicht mit knapp über 80 durch Dänemark fahren wollen. Maik biegt irgendwann mit seinem Daimler in eine andere Richtung ab. Kai ist noch bis Ribe hinter mir unterwegs. Eigentlich sollte ich sowas öfter einmal machen. Das letzte Mal (und eigentlich das erste richtige Mal) war ich vor drei Jahren im Urlaub. Ansonsten hieß es fast nur studieren und arbeiten. Ich fühle mich entspannt, schalte „skala fm“ ein und rolle durch die Landschaft. Es war ein echt lustiger Abend und ein starker Morgen. Ich sollte sowas öfter mal machen. Einfach mal raus. Ich streichle „Harald“ über das abgegriffene Lenkrad. Er ist das einzige, was mich an dieser Reise störte. Der Verbrauch von (ausgerechnet) 4,27 Liter Dieseln war zwar phänomenal, aber wenn man im Alltag schon fast 1300 Kilometer in der Woche hinter dem Lenkrad sitzt, mag ich auch gerne mal etwas anderes fahren. Nächstes Mal nehme ich Elsa. Oder den V40. Vielleicht auch Henkelmännchen… oder…
Naja, mal sehen. Ich rolle über die Grenze und bin wieder in Deutschland. Und ich freue mich. Auf nächstes Jahr. Denn eins weiß ich bestimmt. Rotwein 2.0? Wenn ich darf, bin ich gerne wieder dabei!
Vielen Dank noch einmal an Jens für die Einladung, die leckere Verpflegung und den supercoolen Abend. Das hat wirklich Spaß gebracht! Und natürlich auch schöne Grüße an Kai, Timo, Julian, Andreas, Maik, Alex, Bastian, Markus, Jo und Fiene!
2 Responses
[…] Der kleine Tagestrip nach Polen dieses Jahr, die erste Nacht im Hotel „Elsa“ und der gemütliche Weinabend in Dänemark haben das Hirngespinst (und einen meiner Vorsätze für 2018) noch einmal […]
[…] mir für eine Nacht in Dänemark als Hotel, als Sandmann zu einem Weinabend eingeladen hatte. Ein Weinabend, hart am Wind. Ich genoss die Nacht und das Abschalten vom Alltag und nahm mir fest vor, im neuen […]