Watt’n Tipp: Oldtimer-Fahrschule

Die Weihnachtszeit rückt näher und ihr habt immer noch keine Geschenke eingekauft?SAMSUNG CAMERA PICTURESOldtimer-Fahrschule. Alte Autos lieben, Neues lernen, den Nachwuchs fördern. Buchtipp.

Ich komme mir komisch vor. Extrem komisch. Ich sitze zwar wie gewohnt auf den plüschigweichen Lammfellbezügen, die die Vordersitze meines alten Buckelvolvos ‚Elsa‘ schonen, aber anstatt das große Bakelitlenkrad vor mir zu haben, sitze ich auf dem Beifahrersitz. Irgendwas in mir sagt, dass ich hier normalerweise nicht hingehöre. Aber heute? Heute gehöre ich hier hin. Ich habe mit meiner Beifahrerin Plätze getauscht, denn heute bin ich nämlich einmal Fahrlehrer.

„Und? Was muss ich nun genau machen, damit Elsa fährt?“ Meine Beifahrerin sitzt hinter dem großen Lenkrad und schaut mich fragend an. Elsa steht ihr wirklich gut, aber ich entscheide mich lieber nichts zu sagen. Frauen verbünden sich ja schnell mal. Nachher SAMSUNG CAMERA PICTURESwirft Elsa mich noch raus und brennt mit ihr durch. „Ääh, eigentlich musst du nur normal fahren. Bei den Bremsen musst du ein wenig mehr reintreten – und die Lenkung geht etwas schwerer. Und beim Schalten musst du mit Zwischengas fahren.“ – „Und was heißt das?“ – „Das heißt… ähm…, dass du beim Schalten den Gang rausnimmst, die Kupplung kommen lässt, um für einen Kraftschluss zu sorgen und die Getriebeeingangswelle mit der Motordrehzahl zu synchronisieren, trittst die Kupplung dann wieder durch und legst den Gang ein…“ Ich bekomme einen verwirrten Blick  zugeworfen. Ich bin anscheinend doch kein guter Fahrlehrer.

Ich hätte ihr die „Oldtimer-Fahrschule“ ans Herz legen sollen. Mir hätte sie damals geholfen…

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. „Auch ich war vor über zwanzig Jahren schon mal kurz davor, meinen Führerschein wegen erwiesener Unfähigkeit freiwillig abzugeben, als ich zwei Tage lang am nicht synchronisierten Getriebe eines frisch comp_comp_SAM_2661aerworbenen Standard-Käfer – Baujahr 1954 – zu scheitern drohte.“* Es ist die erste Theoriestunde, sie hat gerade erst begonnen. Und schon hat mich der Fahrlehrer, Martin Henze, zum Lachen gebracht. Jeder kann sich damit wohl identifizieren, oder? Es gibt ja niemand wirklich gerne seine Fehler zu. Ich war siebzehn, als ich meine erste Fahrt mit einem „alten Auto“ gemacht habe. Es war unser „Henkelmännchen“. Den Führerschein hatte ich auf einem BMW 1er Diesel gemacht und alles, was ich bis dahin gefahren war, war entweder der fast neue Passat Diesel meiner Eltern oder mein auch noch relativ moderner Volvo Kombi. Ein Auto ohne Servolenkung und mit einem etwas zickigem Vergaser, der nicht von irgendwelcher Elektronik geregelt wird, hatte ich bis dahin nicht unter dem Hintern. Meinem Vater wurde auf der Tour fast schlecht, weil ich Henkelmännchen wie ein Känguru durch die Gegend hüpfen ließ…

Es geht in dieser Fahrschule nicht darum, wie man die Vorfahrtsregeln einhält, wie das Reißverschlussverfahren funktioniert (den Deutschen das beizubringen hat ja eh keinen Sinn) oder wie man sich verhalten soll, wenn einem auf einmal ein ausgewachsenes Hausschwein vor das Auto springt – dafür ist die „normale“ Fahrschule da, in der jeder seinen Führerschein macht oder gemacht hat. In dieser Fahrschule geht es um etwas ganz anderes, nicht um die „Basics“, die man braucht um im Straßenverkehr zu überleben. Hier geht es um Leidenschaft, um Begeisterung für alte Technik – und darum, sie überhaupt zu begreifen und richtig zu behandeln.

In sechsundzwanzig erfrischenden „Theoriestunden“ nimmt Martin Henze (selbst übrigens leidenschaftlicher Hobbyschrauber, Oldtimerfahrer und beruflich Motorjournalist) seine Schüler an die Hand und führt durch alle Bereiche des Hobbys „Oldtimer“. So geht es natürlich im Großteil des Buches um das, was die alten Auto bewegt: Die Technik. Sicherheitsrelevante Teile wie Reifen, Bremsen oder auch das Licht werden in je einer einzelnen Theoriestunde abgearbeitet. Aber auch die zum Teil recht aufwändige Pflege der Autos wird beschrieben. Vom regelmäßigen Abschmieren bei historischen Autos, über die Wahl des richtigen Öles für den Motor oder das Hinterachsgetriebe, bis hin zum Waschen und Wachsen des Lacks werden alle Themen rund um die Fahrzeugpflege behandelt. Aber da hört es nicht auf, denn auch auf das eigentliche Fahren wird eingegangen. Einfache Erklärungen, wie man zum Beispiel einen Choke richtig nutzt, oder auch etwas kompliziertere Ausführungen zum Fahrverhalten eines Autos ohne Assistenzsysteme im Grenzbereich sind in diesem Buch zu finden. Da das Hobby „Oldtimer“ aber meist eine Lebenseinstellung ist, wird auch in dieser Hinsicht beraten. Hier kommen unter anderem die zur Lebenssituation passende Zulassung des Fahrzeuges, die Thematik „Patina“ und auch die Frage, ob und wie man einen Oldtimer im Alltag fahren kann, zur Diskussion. Um sich diese Fragen erst einmal stellen zu können, muss man natürlich zuerst den passenden Oldtimer für sich finden – und auch kaufen. Auch für diese Situationen bietet die „Oldtimer-Fahrschule“ passende Theoriestunden mit vielen Tipps.

Martin Henze hat mit dem Herausgeben dieses Buches etwas getan, worauf ich persönlich schon lange gewartet habe: Er hat einen Ratgeber für den Oldtimernachwuchs geschaffen. Wie ich aus eigener Erfahrung entnehmen kann, wollen nämlich viele „Veteranen der Oldtimerszene“ ihr Wissen nicht weitergeben. Warum auch immer. Ich kann von einigen Oldtimertreffen berichten, bei dem ich mir als junger Oldtimerbesitzer Kommentare anhören müsste, dass solch alte Autos bei einem jungen Heizer (oder Pfuscher) nichts zu suchen hätten. Als ich mit dem Hobby anfing, war ich noch Schüler und hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wie ein Auto eigentlich funktioniert. Tipps gab es von den oft selbsternannten „alten Hasen“ auch auf Nachfrage nicht wirklich. Ein Glück ist mein bester Kumpel ein KFZ-Mechaniker und hat mir mit vielen Anleitungen und Erklärungen geholfen – aber es hat nicht jeder, der sich für alte Autos interessiert, auch einen Jürgen zur Hand.

Und genau dort greift das Buch an. Die Leidenschaft für alte Autos und alte Technik lodert schon lange, doch man traut sich nicht. Alte Autos gelten oft als pannenanfällig und kompliziert und schrecken viele Fans ab – dabei sind sie genau das Gegenteil. Alte Autos sind kein Mysterium, sondern wesentlich einfacher aufgebaut als moderne Fahrzeuge. Und genau das möchte Martin Henze in seinem Buch „Oldtimer-Fahrschule“ dem Oldtimer-Nachwuchs nahe bringen. Alte Autos sind kein Hexenwerk. Sie sind simpel. Ob da jetzt unbedingt die passende Kleidung oder passende Möbel zum Hobby gehören, sei mal dahingestellt.

Einige technische Erklärungen sind mir als Fahrzeugtechnik-Student ein wenig zu flach, aber da bin ich natürlich auch voreingenommen. Um ein Grundverständnis für die Technik zu bekommen, wenn man noch absolut überhaupt nichts weiß, sind die Erklärungen vollkommen ausreichend. Sogar mehr als ausreichend. Aber genau das ist der Punkt – einige Erklärungen mögen für viele Leser des Buches vielleicht sogar ein wenig überflüssig vorkommen – wie zum Beispiel das Bedienen des Chokes. Wie man den benutzt, werden viele Leute wohl noch von ihrem ersten Auto wissen. Aber so jemand wie ich, der Mitte der neunziger Jahre geboren wurde, als es eigentlich schon keine Neuwagen mehr mit Choke gab – woher soll jemand wie ich wissen, wie man den Choke richtig nutzt? Das steht auch in keinem Reparaturleitfaden beschrieben. Und genau das macht dieses Buch so interessant. Martin Henze belehrt seine Fahrschüler nicht, er beginnt mit einem weißen Blatt Papier und erklärt. Er erklärt in Grundzügen, wie das Auto funktioniert, worauf man achten muss und was das Hobby so ausmacht. Er teilt seine Erfahrungen, die durch den frühen Beginn seiner Leidenschaft schon mehr sind als bei manchen selbst ernannten „alten Hasen“ und behält sie nicht für sich. Und das ist wichtig, denn nur mit Nachwuchs und erlebten Erfahrungen hat das Hobby noch eine Zukunft. Wie es aussieht, wenn man Erfahrungen nicht teilt, sieht man ja an der Vorkriegsoldtimer-Szene, die so langsam immer kleiner wird.

Dieses Buch ist kein Ratgeber, für Leute, die seit Jahren dank ihres Autos Öl und Dreck unter den Fingernägeln sammeln, wobei auch die Leute ja nie alles wissen und dazulernen können. Dies ist aber eher ein Ratgeber für Leute, die sich für Klassiker interessieren, aber eigentlich noch überhaupt keine Ahnung von der Materie haben oder schon auf Ablehnung in der Oldtimerszene gestoßen sind. Ein Ratgeber für den Nachwuchs. Martin Henze hat diesen Buch seinen Kindern gewidmet. Und das sagt viel über dieses Buch aus. Eigentlich das ideale Weihnachtsgeschenk für den Oldtimernachwuchs oder den Oldtimerfreund, der sich bisher noch nicht traute. Gerade beim Nachwuchs sollte es wohl gut ankommen, dass selbst Magnus Walker, der berühmte Porsche-Guru aus den USA, im Besitz eines Exemplares ist.

Oldtimer-Fahrschule – Ratgeber: Alte Autos lieben und verstehen

Autor: Martin Henze
Verlag: Helmut Horn
Auflage: 1. Auflage 2017
256 Seiten, farbig gedruckt
ISBN: 978-3-928593-11-3
Preis: 25,00€

Bestellbar über www.oldtimer-fahrschule.de oder über den Buchhandels eures Vertrauens.

 

Und meine Beifahrerin?

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Die ist ein Naturtalent. Ungewöhnlich entspannt sitze ich auf dem Beifahrersitz und sehe die Landschaft an uns vorbeiziehen. Elsa schnurrt brav vor sich hin. Leichtfüßig bedient sie die Pedale des alten Volvos und schaltet ohne Geräusche und mit Zwischengas durch die drei Gänge des Getriebes und lenkt souverän am großen Bakelit-Steuer. Ich bin erstaunt. Sie kann es sogar ohne Oldtimer-Fahrschule. Sie fährt einfach so, rein instinktiv. Als wäre es das normalste der Welt.

Ich hätte es ohne Hilfe nie hinbekommen…

*Martin Henze: Oldtimer-Fahrschule: Ratgeber: Alte Autos lieben und verstehen, Kapitel 1, S.7

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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1 Response

  1. marcrudin sagt:

    Mein Zwischengaskuppeln ist auch etwas eingerostet… kommt davon wenn das einzige wirklich alte Auto ein Amischiff ist mit Turbo-Hydramatic :D, die schaltet turboschnell selber die Gänge. Langweilige deutsche Biedermänneringenieure würden sowas profan Automatik nennen. Die haben aber auch nie Freude am Leben 😀

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