Hallo, alter Freund!

Man sollte nicht immer in die Vergangenheit schauen, der Blick nach vorne ist wichtiger.Doch man kann davor nicht immer wegrennen. Ein Wiedersehen nach vielen Jahren.

Mir ist warm, ich bin müde und ich bin kaputt.

Ein anstrengender Tag liegt hinter mir und auch die Hitze macht mir echt zu schaffen. Über vierhundert Kilometer Autobahn und Stadtverkehr liegen schon hinter mir und meinem Volvo Kombi. Ich lasse ihn gerade mal ein wenig verwöhnen. „Super Pflege“ heißt das Programm der Waschstraße, das den Wagen nicht nur wäscht, sondern auch noch eine Unterbodenversiegelung und Nano-Wachs auf den Lack aufbringt. Achtzehn Euro habe ich gerade an der Kasse gelassen. Achtzehn Euro. Aber er soll sich morgen bei der Hauptuntersuchung ja auch von seiner besten Seite zeigen. Ich schaue in die lange Waschstraße hinein. Drei SUV und ein Golf sind noch vor meinem Auto auf dem Laufband. Ich laufe ein wenig mehr in Richtung Supermarktparkplatz, über den man diese Waschstraße nur erreichen kann. Dort ist Schatten. Eigentlich möchte ich nur noch nach Hause, aber vordrängeln hat mein Volvo in den fünfzehn Jahren, die er durch die Gegend fährt, wohl nicht gelernt. Oder er ist zu gut erzogen. Ich setze mich auf den Bordstein und schaue mir die Autos an, die auf dem Parkplatz so herumstehen.

Es ist irgendwie so ein Tick von mir. Ich schaue immer auf die alten Autos, die tapfer zwischen den Neuwagen parken und sich im Alltag schlagen, wahrscheinlich, weil ich selbst nur relativ alte Autos fahre. Golf III werden inzwischen nun auch seltener, 124er-Mercedes oder Baby-Benzen sieht man hingegen noch relativ häufig fahren. Während ich überlege, wann ich das letzte Mal so einen schicken Omega B wie den dort in der dritten Reihe gesehen habe, sticht mir ein tornadoroter Passat 35i Variant ins Auge, der relativ weit abseits vom Eingang fast ganz alleine steht. Das Rot glänzt noch ungewöhnlich stark in der Sonne, das Schiebedach ist offen. Kurz murmel ich das Kennzeichen vor, das der Passat meiner Eltern trug. Die sind übrigens bis heute verwundert, dass ich das Kennzeichen aus dem Stegreif immer wusste. Als der Wagen 1999 verkauft wurde, war ich gerade einmal drei Jahre alt. Damals war ich ganz stolz, dass ich das Kennzeichen aufsagen konnte.

Ein strahlender Golf rollt an mir vorbei, ich schaue zur Waschstraße. Mein Volvo schaut mit seiner glänzenden Haube schon heraus. Ich stehe auf und laufe, das Kennzeichen immer noch murmelnd, in Richtung meines Kombis, der noch gerade von zwei Angestellten der Waschanlage abgetrocknet wird. Ich drücke den beiden ein wenig Trinkgeld in die Hand und setze mich hinter das Steuer meines Autos. Ich will nun nur noch nach Hause.

Es staut sich gerade ein wenig an der Ausfahrt der Parkplatzes, ich entscheide mich noch einmal einen kleinen Umweg zu fahren und den Passat mal einmal im Vorbeirollen anzuschauen. Ich fahre an die hinterste Ecke des Parkplatzes, der tornadorote Kombi steht immer noch dort. Ich nehme den Gang heraus und rolle langsam auf den Wagen zu. Das Rot glänzt noch ganz tief und ist nicht rosa ausgeblichen, wie bei vielen seiner Artgenossen. Irgendwelche Baumarktradkappen zieren den Wagen, was nicht so mein Fall ist. Ich rolle näher vorbei und schaue auf das Kennzeichen. Und dann noch einmal. Und dann noch einmal.

Ich trete auf die Bremse. Ich bin auf einmal hellwach. Er ist es.  Der Wagen, den mein Vater vor zweiundzwanzig Jahren aus dem Schaufenster eines lange nicht mehr existierenden Autohauses kaufte. Der Wagen, der meinen Eltern den ersten Turbodiesel-Motor ins Haus brachte und von Papa heute noch als „unheimlich flott“ beschrieben wurde. Der Wagen, dessen Farbe meine Mutter so toll fand, die schon immer am liebsten rote Autos mochte.

Der Wagen, mit dem ich meine frühsten Autoerinnerungen verbinde.
Das erste Auto, an das ich mich erinnere.

Ich schaue immer noch ungläublig aus dem Seitenfenster meines Autos. Da ist er. Nach neunzehn Jahren sehe ich den Wagen wieder. Nach neunzehn Jahren. All die Jahre fuhr er in der Gegend – und nie haben uns unsere Wege gekreuzt, was in Dithmarschen eigentlich ziemlich unwahrscheinlich ist. Ich schaue auf die Kamera, die auf meiner Rückbank liegt. Ob ich noch ein Foto mache? Ich würde ja gerne. Ich muss. Schnell parke ich meine Volvo ein und steige aus.Er hat sich gut gehalten, der alte Kämpfer. Hier und da zieren ihn ein paar Dellen und Kratzer, das Seitenteil hinten rechts wurde schon einmal nachlackiert. Der „Pacific“-Aufkleber dort ist schon verschwunden, während er an der anderen Seite noch klebt. Auch die roten Spiegel sind irgendwann einmal gegen unlackierte gestauscht worden. An den Radläufen hinten knabbert ein wenig der Kantenrost, die Heckstoßstange hat schon einige, kleine Macken. Aber alles in allem wirkt er noch so fit wie in meinen Erinnerungen, als Papa 1999 das letzte Mal mit dem Wagen morgens zur Arbeit fuhr und ich im Schlafanzug in der Tür stehend dem Wagen noch ein mal winken durfte.

Die Rückbank war mein Reich.

Ich hatte so einen blau-roten Kindersitz mit einem gelben „Tischkissen“ von Volkswagen, den hatte Papa wohl noch bei der Kauf-Verhandlung dem Händler aus den Rippen geleiert. Manchmal hatte ich ein Spielzeugauto dabei und bin damit genauso viel über den gelben Tisch und die Seitenverkleidungen des Autos gefahren, wie der rote Wagen uns durch die Gegend getragen hat. Lange Autofahrten mochte ich nie, da wurde mir immer schwindelig oder warm. Aber wenn es nur einmal zum Katinger Watt ging, um dort mit dem Kanu zu fahren, das ich auf der Fahrt dahin immer durch das offene Schiebedach sehen konnte, fand ich Auto fahren immer toll. Genauso, wenn wir Oma und Opa besuchten, die auch nur gut zwanzig Kilometer weit weg wohnten. Das Schiebedach verstand ich übrigens nie. Wenn ich ausstieg, war es nämlich meistens offen. Und wenn ich einstieg, dann war es meistens zu. Dass Papa meistens alleine nach einem Parkplatz suchte und das Dach dann zu machte, das habe ich erst wesentlich später begriffen, als der Wagen nicht mehr bei uns war.

Die Leute schauen schon komisch, ich höre lieber auf, Fotos machend um den alten Kombi herumzurennen. Wahrscheinlich denken sie, ich würde ihn gleich anzünden oder so. Langsam laufe ich zurück zu meinem Volvo. Als ich mich für das Leben eines Pendlers entschied, wollte ich eigentlich so einen 35i als TDI kaufen, um die fünfzigtausend Kilometer im Jahre damit zu fahren. Leider konnte ich vor zwei Jahren schon keinen Guten mehr finden und kaufte meinen Golf 4. Aber wohl auch besser so, wahrscheinlich wäre ich dann eh zu sentimental geworden. Ich steige in meinen Volvo und wühle eine Visitenkarte aus dem Handschuhfach. Ob ich es tun sollte? Den jetzigen Besitzern meine Daten geben? Sollte ich in der Vergangenheit wühlen, an die ich mich kaum noch erinnern kann und ein Auto aufnehmen, dass ich nie vermisst habe? Ich schaue noch einmal hoch und auf den Passat. Eine ältere Dame packt gerade ihre Einkaufstasche auf die Rückbank. Schnell steige ich noch einmal aus und laufe hin.

Wohl ganz verwirrt, aber freundlich winkt die Dame mir noch einmal, als dieses mir so bekannte Nageln des Diesel in die Ohren dringt und sie davon fährt. So ganz hatte sie wohl nicht verstanden, dass sie und ihr Mann den Wagen meiner Eltern 1999 kauften und bis heute fahren. Und wohl erst recht nicht, warum so ein junger Mann wie ich überhaupt ihren alten Passat kaufen möchte, den sie eigentlich gar nicht verkaufen wollen. Zufrieden steige ich in meinen Volvo und mache mich auf den Weg nach Hause. Der Stress des Tages ist wie weggeblasen.

Später am Abend zeige ich meiner Mutter die Bilder des alten Passats, die sie gleich dazu bringen, die Familienalben hervorzukramen. Ganz analog, versteht sich. Digital versauern Bilder doch eh nur in irgendwelchen Ordnern auf irgendwelchen Festplatten. „Wir haben uns damals ja nicht so für Autos interessiert“ sagt sie mir, während wir durch die Alben blättern. Angeblich habe ich die beiden erst dazu gebracht, sich mehr für Autos, inbesondere für Oldtimer, zu interessieren. Die Bilderalben riechen ein wenig staubig, als ich mich Seite für Seite durch die Geschichte unserer Familie hangele. Ab 1996 bin ich häufig zu sehen. Meistens in der Nähe der immer wieder wechselnden Passats, die meine Eltern über die Jahre hatten. Mal beim Schlittenfahren, beim Baden – oder auch einfach mal so. Ich weiß noch genau, dass ich nie in den Autos spielen durfte. „Dann muss es ja wohl Zufall gewesen sein, dass ich immer in der Nähe euer Autos fotografiert wurde“, sage ich zu meiner Mutter und blätter noch eine Seite weiter. Ich muss schmunzeln, als ich das Bild und die Überschrift sehe, die mein Vater wohl im selben Jahr dort hineinschrieb. Abschied steht dort. Bei einem Auto.

Natürlich war es nur ein Auto. Ein Gebrauchsgegenstand. Nichts besonderes. Ich würde es meinen Eltern auch glauben, wenn ich nicht damals dem Auto zum Abschied hätte winken sollen – und sie nicht von jedem ihrer bisher sieben Passats ein Bild an der Wand ihres Büros hängen hätten. Und da fragen die beiden mich immer, woher ich nur meinen Autotick habe…

Ich freu mich, alter Kumpel, dass du noch lebst und es dir gut geht. Es tat gut, dich nach neunzehn Jahren einmal wiederzusehen. Es heißt ja: „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.“ Vielleicht haben wir ja Glück und es wird auch noch ein drittes Mal geben.

Ich würd mich freuen.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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3 Responses

  1. Snoopy sagt:

    Na das ist ja doll…

  1. 10. Dezember 2021

    […] rot und als Diesel. Der meiner Eltern wurde 1999 verkauft, vor ein paar Jahren habe ich ihn sogar einmal wiedergetroffen. Der vom sandmannschen Schwiegerpapa fährt noch. Also fast. Ich freute mich auf die […]

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