Alp-Traum
Der große Roadtrip geht in die zweite Runde. Ich treffe das allererste Mal auf die Alpen. Doch der erste Kontakt mit dem höchsten Gebirge Europas verlief anders als ich dachte.
Ich spüre ein Kribbeln auf meiner Stirn. Ein mutiger Schweißtropfen läuft langsam von Denkfalte zu Denkfalte. Kurz vor der Augenbraue biegt er ab und läuft in der gleichen, monoton langsamen Geschwindigkeit die Schläfe herunter, nur um mir dann wie eine Träne die Wange herunter zu kullern. Ich spüre, wie er sich mühsam durch mein Barthaar kämpft, nur um schlussendlich den Absprung zu schaffen. Langsam versickert er im Stoff meines Hemdes. Ich wage einen kurzen Blick auf meine Hände. Fest halte ich das Steuerrad in der Hand, meine Fingerknöchel sind weiß angelaufen. Ich schaue wieder hoch, doch sehe nicht mehr als vor einigen Sekunden. Der Ausblick ist so trüb wie die Luft an einem verregneten Herbstmorgen in einer kleinen Hafenstadt an der Küste. Mein Puls pocht, als würde er würde er versuchen wollen, mein Adern und Venen zu sprengen. Ich versuche mich davon nicht ablenken zu lassen, atme tief ein und konzentriere mich weiter auf die beiden verschwommenen, roten Lichter vor mir…
Ich hätte nicht gedacht, dass es so ein Abenteuer wird.
Ein bisschen steckte mir die Fahrt von gestern doch noch in den Knochen, als ich die Balkontür meines Hotelzimmers öffnete und einen Blick hinauswagte. Die Nacht war recht ruhig – und wenn die Frau nicht gewesen wäre, die alle halbe Stunde „Nun seids ruhig, es ist [passende Uhrzeit hier bitte einfügen]!“ gerufen hätte, obwohl kein Schwein etwas gesagt hat, wäre ich wohl auch noch ein bisschen ausgeschlafener gewesen. Wobei… vielleicht auch nicht. Schließlich wird mir immer gesagt, ich würde Frauen nie zuhören… Ein bisschen ernüchtert war ich ja. Gestern Abend konnte ich die Alpen am Horizont noch erkennen, doch heute war alles grau. Das erste Mal seit vier Monaten erlebte ich wieder, wie es regnete. Doch schlechte Laune kam deshalb nicht bei mir auf – ganz im Gegenteil. Die Luft war schön, es war nicht mehr so heiß – und die Klimaanlage würde ich heute bestimmt nicht vermissen.
Fünfhundert Kilometer lagen heute noch vor uns.
Das Morgenritual (Frühstücken; Zähneputzen; Gucken, was ich im Hotelzimmer vergessen werde; Beladen von Hein) gingen doch recht schnell von statten. Mein Vertrauen in den alten Kahn war inzwischen auch etwas gestiegen, weshalb ich keinerlei Gedanken daran verschwendete, dass er nicht anspringen könnte, als ich am Zündschlüssel drehte. Und er tat es auch. Während ich Hein noch ein wenig warmlaufen ließ, schaute ich noch schnell auf das Navi. Gut 500 Kilometer sollten es heute werden. Aber erstmal wollte ich zu meinem Kumpel Jürgen, schließlich wollten wir im Konvoi nach Graz fahren. Und er meinte, er hätte für Reiseproviant gesorgt. Und ich wäre ja schön doof, wenn ich mir das entgehen lassen würde…
Touristen nerven überall.
Meine Bedenken durch München zu fahren, waren komplett unbegründet. Kein Stau, keine blöden Jagereien, nur ein paar Mittelspurschleicher waren dort zu verzeichnen. Auch den Chiemsee ließen wir recht schnell links liegen – auch, wenn der Fortschritt ein wenig langsamer voran ging, als Jürgen dachte. Schuld daran war ich. Hein entwickelte nämlich ein neues Phänomen: Sobald ein Tropfen Regenwasser auf die Motorhaube fiel, beschlug der Wagen von innen komplett. Die ganze Fahrt bis zum Chiemsee war ich beschäftigt, die richtige Einstellung für die Lüftung zu finden, um überhaupt ein bisschen was sehen zu können – und dann hörte der Regen auf, der Verkehr wurde dichter und wir standen im Stau.
Kurz vor der österreichischen Grenze hatten sich alle Urlauber und Touristen (die ich sogar hasse, wenn ich selbst einer bin) in ihren viel zu großen SUV und überladenen Minivans getroffen, um einfach so – ganz ohne Grund – auf der Autobahn zu stehen. Jürgen wirkte im Rückspiegel noch ganz entspannt, während ich nach einer halben Stunde schon etwas nervös wurde. Vielleicht sorgt der ruhige Lauf des Reihensechszylinders des Volvo 960 für eine innere Tiefenentspannung? Oder wurde ich nervös, weil ich das immer klebriger werdende Lenkrad nicht mehr anfassen mochte? Ich kann es nicht sagen. Als wir wieder rollten, hatte ich den Grund für meine Nervösität schon wieder vergessen.
Nach vier Stunden machten wir Pause.
Irgendwann, es muss kurz hinter Salzburg gewesen sein, zog Jürgen auf einmal an mir vorbei. Als er an der nächsten Raststätte anhielt, wusste ich auch warum. Ich war ihm nicht zu langsam unterwegs, sondern das dauerhafte Plätschern des Regens zeigte langsam seine Wirkung. „Musst du eigentlich nie aufs Klo?“, fragte er mich, als wir im Platzregen von unseren alten Limousine über den Parkplatz zur Raststätte hechteten. Aber meine Erklärung über eine trainierte „Vielfahrerblase“ wollt ihr bestimmt nicht hören, deshalb lass ich es lieber. Viel lieber erzähle ich euch von der Butterbrezel, die Jürgen als Proviant dabei für uns dabei hatte. Also… für jeden eine. Natürlich. Brezeln kannte ich bisher nur als Mitternachtssnack auf Partys. Oder auch als Mitternachtssnack ohne Partys. Aber aufgeschnitten und mit Butter war für mich neu. Aber es war lecker. Frisch gestärkt ging es weiter.
Endlich wieder Tageslicht.
Ich atme auf. So tief, dass ich fast anfange zu husten. Ich nehme meine linke Hand vom Lenkrad, langsam aber schmerzhaft löst sich die Verkrampfung. Mit ihr wische ich mir einmal über die Stirn und merke, dass dem ersten, mutigen Schweißtropfen noch einige hunderte Kollegen gefolgt sind. Ich bin klitschnass. Auch mein Puls beruhigt sich so langsam wieder, gleichzeitig rege ich mich aber über meine eigene Doofheit auf. Die hat mich nämlich zum ersten Mal eigentlich so richtig in Gefahr gebracht.
Viele von euch, die häufig bei Regen durch einen Tunnel fahren (oder in eine beheizte Tiefgarage, das geht auch) wissen, dass der Mix aus heißen Abgasen und feuchter Straße die Luftfeuchtigkeit richtig ansteigen lässt. Und eine hohe Luftfeuchtigkeit sorgt bei einem Auto meist für beschlagene Scheiben – allerdings von außen. Deshalb ist vor einigen, besonders langen Tunneln, auch ein Schild mit Scheibenwischern darauf abgebildet. Doof, wie ich war, habe ich mir aber einen großen, roten Balken darüber eingebildet und den Scheibenwischer ausgestellt. Zudem hatte ich noch das Fahrerfenster auf. Als ich in den Tunnel hereinfuhr, waren die Scheiben innerhalb von drei, vier Sekunden komplett zu. Aus der Lüftung kam nur heiße Luft, auf die Idee, den Scheibenwischer anzuschalten, bin ich bei gefühlten 50 Grad im Auto auch erst später gekommen. Aber da war es schon zu spät. Die fast drei Kilometer durch den Tunnel fuhr ich komplett im Blindflug – und dank einer Baustelle in der anderen Röhre, kamen auch noch Autos entgegen, die auch noch gut blendeten. Als einzigen Ausweg sah ich, mich ganz dicht hinter den LKW vor mir ranzuhängen und seine Rücklichter als Orientierungspunkte zu nehmen. Was auch klappte… bloß nicht nachmachen.
Doch das „Elend“ endetete hier noch nicht.
Wir kämpften uns weiter durch den ein oder anderen Stau – und auch durch die ein oder andere Mautstation, was aber nicht weiter tragisch war. Gerade, als wir die Grenze zur Steiermark – dem grünen Herzen Österreichs – passiert hatten, kam es zum Platzregen. Starken Regen hatten wir auf unserer Fahrt schon vorher mitbekommen, aber das hier war noch einmal eine ganz andere Liga. Irgendwie kam es mir vor, als hätte die Nordsee mich verfolgt und würde sich über die komplette Steiermark ergießen. Und an dieser Stelle möchte ich noch einmal das Ingenieursteam grüßen, das sich den Einarmwischer ausgedacht hat – und alle Fanboys, die ihn toll finden. Es ist zwar schön, ein möglichst großes Sichtfeld zu haben – aber bei Starkregen wäre es wohl effektiver gewesen, wenn ich meinen Arm rausgehalten und einen Glaswischer benutzt hätte. Es fehlt einfach ein Wischdurchgang. Und ja – er ist gut geschmiert.
Kurz vor Graz machten Jürgen und ich dann noch einmal eine Pause. Den Regen hatten wir inzwischen hinter uns gelassen, dafür sollte aufgrund eines Unfall die Autobahn vor uns gesperrt sein. Wir entschieden uns trotzdem dafür, es einfach durchzustehen, anstatt uns einen Umweg zu suchen. Und das war auch die richtige Entscheidung – als wir ankamen, war die Autobahn schon lange wieder freigegeben. Was aber nicht hieß, dass wir in einem Rutsch zum Hotel fahren konnten – der Feierabendverkehr von Graz hielt uns auch noch gut eine Stunde auf. Und so schön die Steiermark auch ist – die Autobahn südlich von Graz in Richtung Slowenien neben dem DHL-Paketzentrum ist nicht gerade ein schöner Ort, um seine Zeit zu verbringen. Während Jürgen im Rückspiegel noch recht entspannt wirkte (Der Sechszylinder…) war es mir über. Die nächste Abfahrt war meine.
Willkommen in Österreich.
Erst beim Hotel angekommen (Gut dreißig Kilometer südlich von Graz) merkte mein altes Nokia dann auch, dass wir in Österreich wären. Ehrlich gesagt – meine Laune war zu dem Zeitpunkt nicht gerade die Beste. Für die fünfhundert Kilometer von Jürgen hierher hatten wir knapp über acht Stunden gebraucht – und der extrem langsame Hotelier (Mein einziger Gedanke war nur: „Gleich schläft er ein!“), eine herumschreiende Frau im Zimmer zwischen Jürgen und mir und die gefühlt 40 Grad in der Bude ohne eine gute Möglichkeit zu lüften, hoben meine Laune auch nicht gerade an. Aber ein Glück hatte Jürgen ohne mein Wissen schon mit Micky und Anja von Alltagsklassiker gesprochen – und die Vorfreude, die beiden endlich einmal persönlich kennenzulernen (und gemeinsam ein leckeres Abendessen zu verdrücken) ließen meine Laune doch wieder steigen. So sah ich dann drüber hinweg, dass ich nicht ein Wort der Flirterei der Tankstellenfrau verstand, schnappte mir Jürgen und fuhr in Richtung Graz.
Der Abend war wunderbar. Ich lernte neben Anja und Micky, die mir auch sofort sympathisch waren, auch noch den Wolfi kennen, den ich bisher auch nur virtuell kannte. Nach dem Abendessen (Nächstes Mal weiß ich, dass die Wiener Schnitzel hier so groß sind mein ganzes Gesicht), bei dem ich wieder komplett entspannt (lag das daran, dass Micky und Anja uns in ihrem Volvo 960 in die Stadt chauffierten?) war, zeigten uns die beiden noch Graz. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht genau, wohin ich zuerst schauen sollte. Überall war etwas los. Musik, Menschen, Lachen – und Kabuff in der Nähe. Aber das wird noch einmal eine andere Geschichte.
Irgendwann, es ging wohl schon auf Mitternacht zu, lag ich in meinem Bettchen, hörte zweihundert Mücken in meinem Zimmer herum schwirren und schlief trotz Latexbettlaken und 43 Grad im Zimmer ziemlich schnell ein. Es wurde eine unruhige Nacht. Irgendwie ließ mich das Wiener Schnitzel und die Tankstellenfrau nicht mehr los.
Aber zumindest hier behielt ich einmal den klaren Durchblick.
Der erste Teil der Reise: Schlaflos durch die Nacht.
Der dritte Teil der Reise: Hähnchen im Speckmantel
Schön geschrieben Lars !
Ging mir vor 2 Jahren und mit Urlaubsfreude und den Kindern im Auto genauso !
11h für 650 KM haben mir dann auch den letzten Nerv geraubt.Abends gab es dann erstmal das ein oder andere kühle Blonde aus der Steiermark zur Frustbewältigung.
Am nächsten Tag hatte ich dann zwar Kopfschmerzen aber auch wieder gute Laune !
Beste Grüße sendet Ben
Klick doch mal rein:
http://www.kaeferhauptquartier.blogspot.de
Hey Ben,
das freut mich sehr, dass dir mein Text gefallen hat.
Wo ging deine Reise denn hin? Auch in die Steiermark? Oder kam dort nur das kühle Blonde her?
Deinen Blog werde ich mir morgen Abend einmal durchlesen – bin schon sehr gespannt.
Schöne Grüße
Lars
Hallo Lars.
Es war das Steirer-Bier was mir „Kopfweh“ bereitet hat 🙂
Unterwegs waren wir rund um Mariazell.Das ist schon ein sehr schöner Fleckchen Erde !
Danach ging es dann weiter nach Zell am See.Das kannte ich noch aus meinen Jugendfreizeit Urlauben 🙂
Das wird nen Moment dauern den Blog durchzuschauen.Obwohl 🙂
MfG Ben