Pfingsten – fast wie Ostern

Ich weiß, ich weiß. Die Überschrift kann für Verwirrung sorgen. Doch sie passt ganz gut.Pfingsten war für mich wie Ostern. Anstatt nach Eiern suchte ich nur nach Schlüsseln…

„Lars? Wo hast du denn den Schlüssel hingelegt?“

Ich versuche aus meinen Fehlern zu lernen. Manchmal brauche ich dafür zwar drei oder vier oder fünf Versuche, aber irgendwann bin ich so von mir selbst genervt, dass ich Dinge anders mache. Das beste Beispiel hierfür ist meine Werkstatt. Vor ein paar Jahren herrschte dort noch großes Chaos. Doch irgendwann war es mir über, dass ich die meiste Zeit gar nicht zum Schrauben kam, sondern immer nach Werkzeug oder einer Flasche Rostlöser wühlen musste. Stück für Stück räumte ich die Garage auf, sortierte und putzte mein Werkzeug und kaufte mir als Belohnung einen neuen, schicken Werkstattwagen. Seitdem ist die Garage immer sauber und bin ich beim Schrauben viel effektiver. Gleiches gilt für meine Schlüssel. Ich habe es immer geschafft, von einer Sekunde auf die andere meinen Autoschlüssel zu verlieren – meistens von dem Auto, das gerade im Weg stand. Seit ich aber einen kleinen Schrank für meine Schlüssel habe, passiert mir das eigentlich auch nicht mehr.

Ich zog mir gerade meine ausgelatschten Turnschuhe an, als auffiel, dass der Garagenschlüssel weder im Schlüsselschrank hing noch im Garagentor steckte. Eigentlich wollten wir gerade mit meiner alten Volvo-Dame „Elsa“ zu einer größeren Pfingsttour aufbrechen, die Voraussetzungen waren nämlich fast perfekt: Ein strahlend blauer Himmel, fröhlich zwitschernde Vögel, ein vollgepackter Picknick-Korb, ein randvoll mit verbleitem Super-Benzin gefüllter Tank und eine Benzinpumpe, die den Kraftstoff in den Vergaser und nicht auf den Boden befördert. Der kleine Zeiger meiner Armbanduhr stand an diesem Morgen zwar erst auf der Acht und der große Zeiger auf der Zwölf, trotzdem stellte sich bei mir sofort ein Bauchgefühl ein, dass wir unsere Tour verschieben müssten. Wenn der Schlüssel nicht da hing, wo er hängen sollte, würde es garantiert dauern, bis er wieder auftauchte…

Mein Bauchgefühl sollte mich auch nicht täuschen.

Ich hatte ja wirklich keine Lust auf eine große Suchaktion nach dem vermissten Schlüssel. „Der findet sich schon wieder an“, meinte ich ruhig und in Gedanken schon mit Hein fahrend „Wir können ja so „Entlaufen“-Plakate ausdrucken und an die Straßenlaternen im Dorf hängen.“ Komischerweise kam mein Vorschlag nicht so gut an. In der Garage stehen nämlich nicht nur Elsa und meine Zündapp, sondern auch die gerade frischgekauften Kartoffeln und der Rasenmäher. „Spätestens nächste Woche muss der Schlüssel also wieder da sein, ansonsten kann Hennriette bald nicht mehr über das Gras hinweg schauen – und du weißt, wie böse sie werden kann!“, konterte mein Vater und deutete auf mein Schrauberhuhn, das draußen gerade einer Mücke hinterher flitzte. „Außerdem hatte der Schlüssel kein Halsband mit unserer Telefonnummer“, grinste meine Mutter hinterher. Sie hatten ja recht. Ich wollte ja aufhören mit der Aufschieberei, der Schlüssel musste jetzt wieder her. Früher oder später würde er bestimmt irgendwo auftauchen.

Als ich seufzend meine Wohnung betrat, wusste ich eigentlich schon, dass der Schlüssel hier nicht sein konnte. Gerade einmal vor einer Woche hatte ich meine Wohnung mit einem Frühjahrsputz auf Hochglanz gebracht – ein irgendwo zufällig abgelegter Schlüssel wäre mir schon lange aufgefallen. Lustigerweise wusste keiner von uns, wer die Garage am Vortag überhaupt abgeschlossen hatte. Ich war mir recht sicher, dass ich mit Henkelmännchen wegfuhr und sah, dass mein Vater irgendwas in die Garage brachte. Meine Eltern waren sich recht sicher, dass ich noch etwas aus Elsa holte, die Garage abschloss und dann mit dem Cabriolet davonbrauste. In einer Sache waren wir uns aber einig: Sobald der Garagenschlüssel wieder da wäre, würde sofort wieder ein Zweitschlüssel nachgemacht. Den hatten meine Eltern nämlich schon vor einiger Zeit irgendwie einmal verloren. Der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamm. Ich kann eigentlich gar nichts dafür.

Und so lasset die Spiele beginnen.

Als erstes nahm ich mir meinen Flur vor. Bis auf einen selbstgebauten, leeren Eckschrank, eine Garderobe und eine alte Bank ist er zum Glück noch recht leer. Ich bin erst vor einigen Wochen mit dem Renovieren fertig geworden und hatte noch nicht so viel Zeit, um alles richtig einzurichten. Doch in seinem Hausflur die Atmosphäre eines Wartezimmers beim Zahnarzt zu haben, hat auch etwas Gutes: Man hat schnell alle Sachen durchgesucht. Ich war mir sicher, dass ich wusste, wo was ist, schließlich hatte ich alles erst vor zwei Wochen eingeräumt. Trotzdem war ich etwas erstaunt, als ich den Fahrzeugschein meines Volvos unter der Bank fand. Das letzte Mal hatte ich den wohl zur Hauptuntersuchung in der Hand. Und das war immerhin schon fast ein Jahr her. Verwirrt steckte ich ihn mir in die Hosentasche und suchte weiter.

Vor dem Frühjahrsputz stapelten sich in einer Ecke meiner Küche einige Autoteile, doch die hatte ich schon vor einer Woche in die Garage gebracht – und die waren dort jetzt wahrscheinlich noch sicherer unter Verschluss als die Nutzerdaten bei Paypal. Ich schaute in alle Schränke, unter den Tisch, hinter meinem Holz-Ofen und dem elektrischen Herd. Nichts. Nur ein zerknülltes Blatt Papier konnte ich zwischen dem Gefrierschrank und meinem Vorratsschrank herausziehen. Die Wahrscheinlichkeit den Schlüssel dadrin eingewickelt zu finden, war zwar verschwindend gering, doch ich schaute trotzdem nach – und wurde wirklich überrascht. „Habt ihr 2002 eine elektrische Kettensäge von Bosch gekauft?“, fragte ich meine Eltern verwirrt, die ich in ihrem Wohnzimmer suchend fand. „Nein, wieso?“ – „Vielleicht Oma?“ – „Was sollte Oma denn mit einer Kettensäge?“ – „Keine Ahnung, aber ich habe gerade diese Rechnung in meiner Küche gefunden. Vielleicht sollten wir statt eines Schlüssels einfach eine Kettensäge nehmen? Die Garage wäre garantiert offen.“

Die Suche ging weiter.

Mein Vorschlag mit der Kettensäge kam wieder nicht so toll an. Doch als ich mein Wohnzimmer, das Bad, mein Schlafzimmer und selbst meinen Heizungsraum ohne Erfolg durchsucht hatte, fand ich die Idee mit der Säge eigentlich immer besser. Vorsichtshalber schaute ich noch einmal alle Jackentaschen nach, selbst von Jacken, die ich seit Jahren nicht mehr getragen habe. Immerhin weiß ich nun wieder, dass ich 2013 auf einem Abendball in Flensburg war. Das hatte ich schon wieder vergessen, aber anscheinend war es ein toller Abend. Ich hätte ansonsten bestimmt einmal Zeit gehabt, die Eintrittskarte wegzuwerfen. Auch alle Hosentaschen schaute ich noch einmal nach. Ich stecke meinen Kopf sogar in meinen Wäschekorb voller dreckiger Wäsche. Ihr könnt mir aber glauben – den Fehler mache ich nicht noch einmal.

Doch selbst der größte Körpereinsatz blieb ohne Erfolg. Der Schlüssel blieb verschwunden. Es waren inzwischen schon einige Stunden ins Land gegangen und ich war mir eigentlich immer sicherer, dass ich nicht abgeschlossen hätte, doch meine Eltern, die bei der Suche ihr ganzes Haus auf den Kopf gestellt hatten, waren derselben Meinung. Also entschied ich mich dazu, alle Autos und Garagen durchzuschauen. Ich bewaffnete mich mit allen Schlüsseln (und zählte sicherheitshalber noch einmal nach, um auch auf dem Weg keinen zu verlieren) und stapfte etwas lustlos zu den Autos. Auf dem Weg traf ich noch auf Hennriette, die sich relaxend ein wenig in der Sonne bräunte. Auf meine Frage, ob sie den Schlüssel von Elsas Garage gesehen hätte, bekam ich aber nur einen genervten Blick als Antwort. Hatte ich eigentlich erwähnt, dass dort auch das Hühnerfutter gelagert wird?

All das Suchen war umsonst.

Als ich mich durch eine Seitentür (Für die haben wir sogar drei Schlüssel!) zu Elsa schlich, tat sie mir irgendwie leid. Das Wetter war herrlich und sie musste in der Garage stehen. Von innen lässt sich das Tor nicht öffnen, ohne großen Schaden anzurichten. Und das wäre es nicht wert gewesen. Kurz überlegte ich, ob es nicht eine Idee wäre sie in Teilen durch die Seitentür herauszutragen, aber so lang ist es hier dann doch nicht hell. Ich hatte in allen Autos (außer Elsa natürlich – die stand ja in der Garage) nachgeschaut, doch nichts gefunden. Okay, gefunden hatte ich schon etwas, aber eher so etwas wie hunderte Pfandflaschen in Harald oder eine Packung Haribo im Elchen. Selbst auf dem Komposthaufen und in den Mülltonnen schaute ich nach – es hätte ja sein können, dass der Schlüssel irgendwie ausversehen dort gelandet war. Doch nichts. Gar nichts. Nicht einmal der kleine Kater „Janosch“ meiner Eltern hatte den Schlüssel irgendwo gesehen. Und der pflügt den ganzen Tag über das Grundstück.

Es war zum Mäusemelken. Der Schlüssel war einfach nicht zu finden. Inzwischen war es schon weit nach 15 Uhr, ich war hungrig und hatte wirklich keine Lust mehr aufs Suchen. Inzwischen war ich mir recht sicher, dass ich die Garage nicht abgeschlossen hatte, sondern schon vorher davongedüst war. Um wenigstens noch ein bisschen was vom Wetter zu haben, wollte ich eine kleine Runde mit Hein drehen. Hein ist zwar nicht Elsa, aber fahren tut er ja doch ganz schön. „Fütterst du vorher noch Agathe?“, fragte meine Mutter. „Aber denk dran – zieh dir Gummistiefel an! Die ist giftig!“

Agathe war’s.

Wahrscheinlich werdet ihr euch nun fragen, wer Agathe ist. Lasst sie mich euch kurz vorstellen: Agathe ist auch eines meiner Schrauberhühner. Letztes Jahr zog sie zu uns – und eigentlich ist sie auch ganz nett, wie alle meine Hennen. Momentan ist sie allerdings im Gluckenmodus und brütet fleißig vor sich hin. Auch, wenn sie keine echten Eier unter sich hat – sie verteidigt die Dummys bis aufs letzte. Nicht nur meine Mutter, sondern auch mein Vater sind von ihr schon ganz schön gejagt worden. Und auch mich schaute sie nicht sonderlich willkommen heißend an, als ich in den Schuppen kam, den sie sich als idealen Brutplatz ausgeguckt hatte. Doch das Gekreische der kleinen schwarzen Henne interessierte mich nicht die Bohne, als ich sah, was vor ihr lag: Der Garagenschlüssel. Anscheinend war er meiner Mutter oder meinem Vater aus der Tasche gefallen, als sie vor der zornigen Henne fliehen mussten. Und vor lauter Adrenalin dachten sie wohl auch gar nicht mehr an den Schlüssel.

Ein Glück ließ Agathe sich mit etwas Futter bestechen und ich konnte mir schnell den Schlüssel greifen, ohne gleich von einem Kamikaze-Huhn zerstückelt zu werden. Stolz zeigte ich meinen Eltern neben dem Schlüssel auch gleich eine lange Nase. Ich war mir wirklich sicher, dass ich nicht abgeschlossen hatte. Fröhlich rief ich bei meiner Begleitung für den Tag an, dass die Tour nun doch (wenn auch etwas kleiner) stattfinden würde, schnappte mir meinen Picknickkorb, schloss die Garage unter Applaus meiner Eltern auf und setzte mich in Elsa. Recht schnell merkte ich, dass ich vor lauter Aufregung gar nicht an den Zündschlüssel gedachte hatte, doch der fand sich an seinem angestammten Platz wieder. Schon beim zweiten Anlasserdreh schnurrte der rote Vierzylinder unter der Haube ruhig vor sich hin – und die Tour wurde noch richtig klasse.

Das Sprichwort „Wer suchet, der findet“ finde ich übrigens noch genauso doof wie vorher. Als ich über einen Bahnübergang fuhr und Elsa plötzlich ihr Handschuhfach auffallen ließ, fanden wir nämlich auch den Zweitschlüssel der Garage wieder.

Manche Probleme lösen sich halt doch von selbst.

Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.

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