„Das ist ein Geschenk, wirklich!“
Heute ist Black Friday – überall locken Sonderangebote, große Rabatte und Schnäppchen. Ich möchte euch heute erzählen, wie man unfreiwillig noch günstiger unterwegs sein kann.
Es ist bestimmt schon eineinhalb Jahre her.
Zufrieden steuerte ich Hein durch Norderstedt. Ein langer, aber erfolgreicher Tag lag hinter uns. Ich hatte tolle Kontakte geknüpft und Hein hatte brav wieder einige Kilometer abgespult. Jetzt würde es nur noch ungefähr eine Stunde dauern und dann wären wir Zuhause. Insgeheim freute ich mich schon darauf, meine Füße endlich hochzulegen, doch erst einmal schrie die Reserveleuchte der Tankanzeige nach etwas Benzin. Schnell fand ich eine kleine, freie Tankstelle und steuerte auf den Hof. Es war schon dunkel, als ich an einer freien Zapfsäule anhielt (es waren alle frei) und nach dem Zündschlüssel griff, um den Motor abzustellen. Erst jetzt fiel mir auf, dass nicht nur die Reservelampe, sondern auch noch die Lampe der Scheibenwaschanlage leuchtete. Benzin, Scheibenklar, nach Hause fahren. Sonderlich viel merken musste ich mir nicht mehr. Ich zog den Zündschlüssel ab und stieg aus.
Ich atmete erleichtert auf, als sich die Tankklappe von mir aufdrücken ließ. Vor einer Woche, als an meiner Lieblingstankstelle das Super95 gerade besonders günstig war, hatte die Zentralverriegelung die Tankklappe nämlich nicht freigegeben. Es war nicht besonders schlimm, der Tank war noch halbvoll. Nun wäre es aber doof gewesen. Der Rest? Es lief ab wie immer, reiner Automatismus: Tankverschluss aufschrauben und am Tankdeckel einhängen, Zapfhahn nehmen und in den Tankstutzen hängen, kurz hektisch ins Portemonnaie schauen, dann erleichtert den Zapfhahn festklicken und entspannt ans Auto lehnen. Viel zu sehen gab es an dieser Tankstelle in Norderstedt nicht. Irgendjemand hatte seine Sommerreifen auf ganz komischen Alufelgen an die Tankstelle gestellt, um sie dort zu verkaufen. Doch bevor ich überhaupt den Preis gelesen hatte, flackerte plötzlich die Neonröhre über mir und machte dabei die für Neonröhren üblichen Fiep- und Knackgeräusche. Irgendwie störte mich das ganz extrem. Fast hätte ich das Klacken des Zapfhahns überhört.
Immer für eine Überraschung gut
Es schrillte keine Klingel, als ich die Tür öffnete. Das war auch nicht nötig. Die ältere Kassiererin saß keine zehn Meter von der Tür entfernt und lächelte mich freundlich an, als ich eintrat. Natürlich erwiderte ich diese Geste und fügte ein freundliches „Moin!“ hinzu. „Die Drei?“, fragte sie, während sie auf dem Bildschirm ihrer Kasse schon die Zapfsäule auswählte. „Öhm, ich denke schon, ja“, antwortete ich mit einem kurzen Blick nach draußen. Ich achtete gar nicht auf die Nummer, es war ja sowieso nur ein Auto da. Das wusste ich, das wusste sie. Es war halt normaler Smalltalk. „Dreiundachtzig Euro dreiundsiebzig, bitte!“ sagt sie und lächelte mich an. Ich zückte mein Portemonnaie, wühlte ein paar Scheine heraus und gab sie ihr. „Darf es noch etwas sein?“ – „Ach, nee. Ich bin zufrieden.“ – „Das ist schön. Beleg?“ – „Ja, gerne.“ Ich steckte mir das Rückgeld und den Beleg in meinen Geldbeutel und ging in Richtung Tür.
Die Neonröhre hatte mir die Liste in meinem Hirn verblitzt. Das Scheibenklar schoss mir erst wieder durch den Kopf, als ich die Türklinke des Kassenhäuschens schon in der Hand hatte. „Da war ja doch noch etwas!“, sagte ich, drehte mich um und musterte mit meinen Augen die Regale. „Was brauchen Sie denn?“ – „Ich brauche noch Scheibenklar!“ Die Kassiererin lächelte mich an und ging zum Regal direkt neben dem Thresen. „Hier, nehmen Sie das!“ Sie hielt mir einen 5-Liter-Kanister hin, den ich ihr sofort abnahm und auf den Thresen stellte. „Nein, nein. Das ist ein Geschenk, nehmen Sie ihn ruhig mit!“, meinte sie lachend. Wahrscheinlich hatte sie einfach nicht mit einem so verwirrten Gesichtsdruck gerechnet, wie er gerade bei mir entstanden war, und lachte einfach herzhaft. „Aber… ähm.. ich…“, stammelte ich immer noch verwirrt und nach meiner Geldbörse wühlend. „Es ist schon gut, nehmen sie den Kanister ruhig an. Ich bin hier die Chefin. Ich schenke Ihnen den Kanister.“
Ich glaube, ich stand noch ein oder zwei Minuten verwirrt guckend vor ihr, bis sich ihr Gesichtsausdruck änderte. War er vorher eher belustigt, schaute sie nun eher bemitleidend. „Wirklich, ich schenke Ihnen den Kanister.“ Während sie das sagte schaute sie erst nach draußen, auf meine rostige, heruntergekommene Limousine und dann auf mich. Sie wusste nicht, dass selbst ein heruntergekommener W124 unter Altauto-Freunden irgendwie als „coole Karre“ bezeichnet wird. Für sie war ich ein kleiner, zerzauster und unrasierter Typ, der einen alten Mantel trug und eine alte Mühle fahren musste. Eigentlich heißt das Sprichtwort ja „Du bist, was du isst“, aber man könnte es genauso gut auf Autos übertragen. „Du bist, was du fährst.“ Sie wollte mir helfen, mehr nicht. Ich versuchte mich nicht mehr zu erklären, bedankte mich ganz oft und ging raus, um die Scheibenwaschanlage aufzufüllen.
Ich dachte mir, dass diese kleine Anekdote irgendwie zum Black Friday passt. Ein Tag, an dem ganz viele Menschen total wild auf Schnäppchen sind und ganz viele Sachen kaufen, die sie gar nicht brauchen. Wenn ihr freundlich und offen durch die Weltgeschichte lauft, werdet ihr irgendwann auch ganz ohne Rabattschlachten belohnt. Da bin ich mir sicher. Vielleicht nicht mit einem Kanister Scheibenklar, aber auf irgendeine andere Weise, die noch viel mehr wert ist, als ein günstiger Fernseher. Dafür braucht ihr auch keinen Hein oder einen alten Mantel. Ein freundliches Lächeln und ein nettes „Moin“ reicht schon.
Ansonsten leihe ich euch Hein aber auch gerne aus.
Jemand, der für knapp 90 Euro tanken kann, kann ja so arm nicht sein…
😀
Es hat einen Grund, warum ich im Alltag lieber Diesel fahre 🙂
Hallo Lars,
ich habe es geschafft und deine nette Geschichte gelesen.
Ich bin keine Leseratte. Dein Beitrag hat mich begeistert.
Positiv: Es gibt noch Menschen, die geben können.
Denkanstoß: Wie wichtig sind Kleidung und Auto? Wonach werden wir bewertet?
Leider bleiben andere Werte in unserer Gesellschaft auf der Strecke.
Aber es gibt Ausnahmen!
Herzliche Grüße aus Lüneburg
Hallo Christa,
das ist ja schön von dir hier einmal zu hören!
Es freut mich wirklich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Die Leute, die einem wirklich wichtig sind, werden einen wohl nicht nach Kleidung und Auto bewerten – fremde Menschen hingegen oft schon.
Eigentlich ist das schade.
Schöne Grüße nach Lüneburg
Lars
Eine nette Geschichte!
Vielen Dank, Christoph! 🙂