Heinigabend
Es ist der 24. Dezember und damit Zeit, dass ich euch fröhliche Weihnachten wünsche! Ich verbringe meinen Heiligabend dieses Jahr tatsächlich in der Werkstatt bei Hein.
Aber das war natürlich nicht so geplant.
Eigentlich bin ich ein ganz sozialer Mensch, weshalb ich eigentlich auch geplant hatte, dass ich Weihnachten bei meiner Familie verbringen. Aber leider gab es da etwas, was mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machte. Und deshalb habe ich mir auch gerade meine Schuhe angezogen, mir meine Jacke übergeworfen, die Suche nach meiner Mütze aufgegeben und laufe gerade mit kühlem Kopf in Richtung Werkstatt. Der Himmel ist sternenklar und wäre der Nordseewind heute nur ein bisschen weniger fies, dann könnte man es draußen ganz gut aushalten. Schnee war letzte Woche, heute ist es eigentlich nur eklig. Ich fummel den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn ein paar Mal rum. Das Schloss knackt, die Tür geht auf. Hallo Hein, du alter Bock.
Die alte Neonröhre in meiner Werkstatt braucht immer ewig, bis das Licht angeht. Und die kleine Funzel, die über Hein hängt, muss ich auch mal gegen eine LED-Röhre austauschen. Es ist halt nicht alles schlecht, was neu ist. Hein ist nicht neu. Ganz im Gegenteil. Im Februar wird es dann schon fünf Jahre her sein, dass ich den alten Kahn gekauft habe. Und immerhin drei Jahre bin ich ihn auch gefahren. Und nun… nun steht er seit Mai 2021 in meiner Garage und wird und wird nicht fertig. Aber das will ich die nächsten Tage ändern. Ich schließe die Tür hinter mir, um keinen Zug zu bekommen. Es reicht ja schon, dass all die Leute krank sind, die ich liebe.
Fröhliche Weihnachten!
Wahrscheinlich sollte ich Lotto spielen. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine komplette Familie an Heiligabend an Corona erkrankt ist, sollte wohl relativ gering sein. Dachte ich auch. Und dann hörte ich Mitte der Woche von den ersten positiven Tests. Und irgendwie bin nur ich übrig geblieben, der sowohl symptomfrei, als auch negativ ist. Okay, nicht ganz. Die Verwandtschaft, die etwas weiter weg wohnt, ist zum Glück auch negativ. Aber auch eben nicht hier. Und so kommt es, dass ich an Heiligabend mit meiner Katze, die mir auch in die Werkstatt gefolgt ist, und Hein alleine bin. Aber das ist gar nicht so traurig, wie es sich nun anhört. Alle haben sehr glimpfliche Verläufe und das ist das wichtigste. Dass es allen gut geht. Sorry, Hein. Auch dir geht es bald wieder gut.
Ich wollte dieses Jahr echt mehr an dem alten Kahn geschafft haben. Doch irgendwie… irgendwie war keine Zeit dafür. Das nervt mich und das nervt auch einige von euch. Zumindest fragt ihr ja doch recht häufig nach, wann es an Hein weitergeht. Wobei ich bei einigen Nachfragen auch eher ein bisschen Schadenfreude vermute. Hein raubt nicht nur mit so manchen Nerv, sondern spaltet auch ein bisschen die Gemüter. Einige finden es total toll, dass ich den alten Kahn wieder auf die Straße bringe. Andere finden Mercedes total doof und freuen sich über jedes neue Rostloch, das ich entdecke und hauen „Schmeiß weg!“ in die Tasten, bevor sie überhaupt lesen konnten, dass ich das Rostloch schon lange repariert habe. Aber eines haben alle gemeinsam: Es ist dieses leichte Unverständnis, warum ich die rostige Limousine überhaupt repariere.
Do it yourself.
Aber wisst ihr was? Es muss niemand verstehen, warum ich den rostigen Benz mit sieben Vorbesitzern und Rostlöchern so groß die Einfahrt vom Elbtunnel repariere. Es reicht ja, wenn ich es verstehe. Auch wenn Hein für euch ein großer Rosthaufen ist, sehe ich ganz viele Baustellen, die ich schon geschafft habe. Und das mag ich so am Schrauben und Restaurieren. Man gibt sich Mühe. Man bastelt stundenlang, scheitert dann doch und fängt wieder von vorne an. Man verzweifelt zwischen durch, sammelt aber dann wieder Motivation und macht weiter. Manchmal dauert es Stunden, manchmal Tage, manchmal Wochen. Aber irgendwann hat man ein Ergebnis, mit dem man fast zufrieden ist. Und dieses Ergebnis zu sehen, ist mehr Belohnung als es viele Leute jemals verstehen könnten. Und irgendwie vermisse ich dieses Gefühl, nach gefühlt hundert Stunden mich zurückzulehnen und zu denken: „Ja, das ist geschafft“. Ich schaue auf das frisch lackierte Hinterachsgetriebe und den frisch gestrahlten Hinterachskörper. Es wird wirklich Zeit, in das Projekt einzutauchen.
Die letzte Baustelle, die ich angefasst habe, war das Schwellerende auf der rechten Seite. Tatsächlich habe ich mir dafür auch schon ein Einschweißblech angefertigt. Es war bisher irgendwie nur keine Zeit dafür, es einzuschweißen. Mal hatte ich nach der Arbeit einfach keine Lust mehr, mal war es mir auch schlichtweg zu kalt oder ich musste Weihnachtsgeschenke kaufen – die Bescherung habe ich heute von der anderen Seite des Fensters übers Telefon miterlebt. Und dann war da noch ein roter Benz, der ein paar Probleme mit dem Getriebe hatte – aber das wird eine andere, sehr schöne Geschichte. Das Jahr lief etwas anders, als ich es erwartet habe. Aber ich bin echt froh darüber, dass man nicht alles planen kann. Ich hatte zwar viel Stress und auch viel Ärger, aber noch viel, viel mehr Glück und tolle Momente. Und irgendwie ist auch Hein daran schuld.
Dankbarkeit.
Im letzten Jahr habe ich euch erzählt, wie dankbar ich für alles bin. Und das bin ich in diesem Jahr sogar noch mehr als im letzten. Ich bin dankbar dafür, dass die Menschen, die ich liebe, nicht schlimm krank wurden. Ich bin dankbar für all das Glück, das mir in diesem Jahr passiert ist. Und ich bin dankbar für euch, die ihr mein Hobby „Schreiben übers Schrauben“ so toll mit netten Kommentaren, Mails oder Nachrichten gefüttert habt. Auch wenn ich dieses Hobby in diesem Jahr etwas vernachlässigt habe, habe ich immer noch großen Spaß daran und will im nächsten Jahr wieder alles dafür tun, dass ich mehr Zeit dafür habe. Wobei… ich fange jetzt damit schon zwischen den Feiertagen an. Ich habe Urlaub und Hein muss wieder auf die Straße. Bis nächsten Sommer. Es geht um eine Pizza.
Ich laufe noch ein bisschen durch meine Garage und schaue mir all die Dinge an, die von Hein hier herumliegen. Hier ein hinterer Querlenker, dort eine Bremsscheibe und irgendwo auf dem Regal die Kofferraumbeleuchtung. Wie ein Puzzle setze ich die Teile irgendwann alle wieder zusammen und baue ein Auto draus. Und irgendwie ist das auch eine schöne Metapher, denn das ganze Leben ist wie ein Puzzle. Man weiß nur nie, wann man auf zufälligerweise das Puzzleteil findet, das man immer gesucht hat. Aber wenn man es gefunden hat, dann weiß man es ganz sicher. Meine Katze schaut mich mehr oder weniger verwirrt an, als ich schweigend durch die Garage laufe. Und sie hat ja recht. Ich werde hier heute nichts mehr aufräumen und auch keinen Handschlag an dem alten Kahn tun. Sie blubbert überrascht, als ich sie auf den Arm nehme und überall das Licht ausknipse. Blacky und ich werden nun Weihnachten feiern.
Und ich hoffe, das tut ihr auch. Egal wie.
Frohe Weihnachten!
Schöne Geschichte
Vielen, lieben Dank, Carsten! 🙂