Signora Ragnetto, Ti Amo Così Tanto
Ich habe neulich jemanden kennengelernt. Es hat mich erwischt. Wie ich befürchtete.
Sie hat die richtigen Rundungen. Sie hat Charakter. Und – sie gehört jemand anderem.
Ich spüre das Holzlenkrad in meinen Händen. Die Speichen sind poliert und gelocht. Es ist glatt. Es ist dick. Es ist schön. Ich schaue über die geschwungene Haube auf den Lago Maggiore. Der Lack glänzt tief rot. Die Sonne spiegelt sich darin. Eine Kurve. Ich schalte einen Gang zurück. Mit etwas Zwischengas. Es hat einfach mehr Stil. Der Edelstahlauspuff lässt den Doppelnocker aufröhren. Es klingt sexy, lüstern und bestimmt. Wie die Schönheit in der Bar, die dich nach einem Tango mit leicht zusammengekniffenen Augen ansieht und mit ihren vollen roten Lippen lächelnd fragt, ob du sie nicht nach Hause begleiten könntest…
Ich fahre durch die Kurve. Das Fahrwerk ist straff. Das Fahrwerk ist knackig. Die warme Luft weht mir durch die Haare und über die Arme. Ich trete auf das Gaspedal. Der Motor röhrt nicht – er singt eine Arie. Vom sonoren, ruhigen Brummen bei leicht untertouriger Fahrt über ein Posaunenkonzert bis hin zu einem furiosen Ertönen italienischer Fanfaren in der Cabaletta. Der Drehzahlmesser von Veglia Borletti klettert in Richtung fünftausend Umdrehungen. Nächste Kurve. Da capo.
Es ist komisch, was alte Autos so mit einem Menschen machen können. Oder zumindest mit mir so anstellen. Ich sitze zum ersten Mal in meinem Leben am Steuer eines Fiat 124 Spider. Es regnet wie aus Eimern. Der Himmel ist grau. Das Gebläse pustet die Scheiben frei, die Scheibenwischer wischen im Viervierteltakt. Der raue Nordseewind pfeift ein wenig durch das Verdeck. Kein Lago Maggiore. Keine italienische Straße, sondern eine einsame, leere und nasse Landstraße in Dithmarschen. Alles andere? Nur in meinem Kopf.
Christoph sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz und bedient die Heizung. Ob er etwas von meinen Träumereien mitbekommen hat? Ich glaube nicht. Christoph gehört dieser schöne Fiat. Er kommt aus Stuttgart und kommentiert hier öfter mal unter dem Namen „spidersnoopy“. Und Christoph ist ein mutiger Mann. Wir kennen uns gerade erst ein paar Stunden persönlich und schon hat er mir den Platz am Steuer seines Spiders angeboten. Ohne zu wissen, wie doof ich eigentlich Auto fahre. Ich schalte in den fünften Gang. Ich fahre nicht hochtourig, der Motor ist noch kalt. Hinter uns liegt Tequila. Kein Getränk, sondern die flauschige, vierbeinige Mitfahrerin von Christoph. Seine Familie hat anscheinend nicht so wirklich viel Benzin im Blut, Tequila genießt es aber hinten angeschnallt im Cabrio zu fahren. Zur Not halt auch einmal von Stuttgart an die Nordseeküste.
Der Fiat hat die Fahrt mit mir überlebt. Ich mache den Motor aus und genieße noch für ein paar Sekunden die gemütlichen (und gar nicht mal so heißen) Ledersitze, das Holzlenkrad und das Armaturenbrett mit den roten Einsätzen. „Er ist ja nicht so ganz original“, erzählt mir Christoph. Der kleine Roadster mit den zarten Linien hat schon ein bewegtes Leben hinter sich. 1979 kam er auf ein groooßes Boot und wurde über den groooßen Teich verschifft. Dieser kleine Fiat, dessen Holzschaltknauf ich gerade zärtlich streichle, wurde nämlich für den kalifornischen Markt gebaut. Das heißt, er hatte bei der Auslieferung große, fette US-Bumpers, ein leicht höhergelegtes Fahrwerk und schon einen geregelten Katalysator. Und er war ursprünglich auch einmal in dunkelbraun lackiert. Irgendwann hatte der Fiat wohl wieder Lust auf eine Bootsfahrt und kam zurück nach Europa.
Tom Tjaarda war ein Genie. Er war es, der vor über fünfzig Jahren bei Pininfarina arbeitete und den Fiat 124 Spider entworfen hat. Was für eine Arbeit! Die Urform des 2+2-sitzigen Flitzers auf Basis der 124-Limousine ist wohl eines der schönsten Autos, das je vom Band gelaufen ist. Das fand auch einer der Vorbesitzer, der den Wagen von seinen schweren US-Bumpern befreite und den Wagen optisch auf die Urform umrüstete. Mit viel Chrom und grazileren Stoßstangen. Dabei verlor der Wagen mit Stoffverdeck wohl auch gleich seine Sidemarkers und seinen braunen Lack und erstrahlt seitdem im satten Rot. Passt auch viel besser zu der Form, wie ich finde. „Ist das ein Ferrari?“ wurde Christoph wohl schon öfter mal gefragt. Die Alufelgen sind übrigens dem des „Volumex“ nachempfunden. Die letzten Fiat 124 Spider sind unter dem Namen Pininfarina Spidereuropa worden. Stand da noch ein „Volumex“ dahinter hieß es, dass der 2-Liter-Motor mit einem Kompressor aufgeladen und gut 135 PS brachte.
Der nächste Tag. Tequila macht auf der Rückbank „Platz“ und ich nehme selbigen auf dem Beifahrersitz. Ich möchte Christoph ein wenig Dithmarschen zeigen. Es ist warm und es ist sonnig. Das Dach ist offen. Der Lago Maggiore fehlt, aber dafür gibt es ja die Nordsee. Der Motor startet und brummelt zufrieden durch den Edelstahlauspuff. Den hat Christoph unter seiner Regie einbauen lassen. „Mit dem Katalysator ist er ansonsten so leise.“ – Stimmt. Und wenn man schon einen Doppelnocker hat, dann will man ihn auch hören. Ich bekomme ein wenig Gänsehaut. Es muss einer der schönsten Motorsounds sein, den es gibt. Voglio.
Wir cruisen den Deich entlang in Richtung Speicherkoog. Der Motor läuft ruhig. Sechzig im Fünften sind kein Problem. Jeder Autofan hat so sein Herzensauto. Ich mag Elsa. Und Christoph seinen Spider. Kann man es ihm verdenken? Nein – auf keinen Fall. Er hatte wohl recht lange nach einem guten 124 Spider gesucht. Obwohl der Spider neunzehn Jahre lang gebaut wurde, ist das Angebot inzwischen wohl schon ziemlich… zweigeteilt. Entweder es gibt gute, dann aber auch teure Autos oder es gibt schlechte Wagen, die aber meist nicht viel günstiger sind. Wie das halt so ist. Christoph hatte aber Glück und fand vor gut acht Jahren zu einem guten Preis diesen Wagen. Und seitdem begleitet er ihn. Durch dick und dünn. Und auf vielen, vielen Reisen quer durch Europa. Wir halten am Deich an. Tequila soll sich auch mal austoben. Nur Fahren ist für sie vielleicht auch langweilig. Ich finde dieses Mal den versteckten Türgriff auf Anhieb und steige aus.
Wir laufen die Teerauffahrt des Deiches hoch. Links und rechts liegt Schafsscheiße. Christoph erzählt mir von einer „scheiß“ Zeit mit seinem Fiat. Ihm ist nämlich der Albtraum eines jeden Oldtimerfahrers passiert. Auffahrunfall. Christoph hatte keine Schuld. Der Herr hinter ihm hat zu langsam reagiert. Ich glaube, ich wäre ausgerastet. Christoph konnte das damals mit seiner schwäbisch gelassenen Art wohl verbergen. Fast einen ganzen Sommer mit viel Sonnenschein und schönem Wetter musste er auf sein Cabrio verzichten. Ich fühle mit ihm. Ein Glück ist der sportliche Italiener heute wieder schick wie eh und je. Ich stelle mir vor, wie jemand hinten auf Elsa drauf fährt. Mir wird kurz schwindelig. Lass uns lieber weiter fahren. Die Tür des Spiders schließt fast so satt wie die einer schwäbischen Luxuslimousine.
Es überzieht dunkel, die ersten Tropfen fallen. Christoph lenkt den Fiat an den Straßenrand und wir machen das Verdeck zu. Ich fühle mich im Inneren des Fiats wohl. Ich schaue mir die ganze Zeit jedes Detail des Wagens an und vergesse fast Christoph den Weg zu weisen… das heißt nichts Gutes für mich.
Ich muss eine Runde mit Elsa fahren. Ist wohl besser. Appetit holen darf man, gegessen wird zu Hause. Elsas Motor röhrt ein wenig lauter als der des Fiats. Will die alte Dame mir Vernunft einreden? Ich weiß es nicht. Sie läuft rund. Also ist sie nicht eifersüchtig.
Wir machen ein paar Fotos.
Hinter dem Deich scheint die Sonne zu leuchten. Christoph und ich sind neugierig und Tequila freut sich eh immer über Auslauf. Wir gehen an Elsa und an dem Fiat vorbei. „Du darfst nicht im Internet nach Doppelnockern schauen, Lars!“ sage ich selbst zu mir, aber anscheinend so leise, dass mich niemand hört. „Du hast kein Geld und keine Zeit.“ Der Sound hat es mir angetan. Ich brauche irgendwann mal so etwas in meinem Leben. Nur… wie erkläre ich das dann Elsa?
Wir stehen vorne an den Wellenbrechern. Der Wind kommt streng von vorne und pfeift in den Ohren als ich den B16-Motor auffauchen höre und auch der Doppelnocker seine Arie einstimmt. Oder? Oder habe ich mich verhört? Ich schaue zu Christoph. Er macht Fotos von dem Sonnenuntergang. Ob er es nicht gehört hat? Ich zweifle langsam an meinem Verstand. Erst den Lago Maggiore und nun höre ich im Rauschen des Nordseewindes auch noch Motorengeräusche. Gelassen laufen wir den Deich wieder hoch. Ich sehe, wie Elsa und der Fiat sich langsam näher kommen. Ich schaue zu Christoph. Christoph lächelt und streichelt Tequila. Ich bin verwirrt. Ich muss aufhören Wasser zu trinken.
Aber Elsa mag die kleine Italienerin halt. Und ich auch. Und überhaupt.
Ich brauche einen Doppelnocker.
Schöne Grüße an Christoph und Tequila! Ihr seid beide echt super sympathisch. Ihr seid jederzeit herzlich gerne wieder eingeladen. Elsa und ich freuen uns! Vielleicht regnet es dann auch mal ein wenig weniger ;-).
Du kannst ja italienisch 🙂
Super geschrieben, da kriegt man zumindest gleich Lust auf einen Espresso, die kleine Portion Italia für den Hausgebrauch. 🙂
Nur den Verlust der Side Markers finde ich schade. Ich mag die!
Dankeschön, Marc!
Italienisch kann ich nicht. Aber es gibt ja zum Glück Wörterbücher und italienische Lieder ;-).
Eigentlich bin ich ja auch ein kleiner Fan von Side Markers. Mein V40 hat ja auch welche. Aber bei der schönen, runden Form des Fiats finde ich es gar nicht einmal so schlimm, dass die eckigen Side Marker fehlen. Wären sie rund, wäre das etwas anderes ;-).
Und? War der Espresso lecker?
Schöne Grüße
Lars
Ciao Lars
Wir sind den Italiener rein schon geografisch natürlich etwas näher, in gut 2 Stunden bin ich von mir aus auf der Passhöhe des Splügen. Wenn man da auf der Südseite runterfährt hat man schon die volle Ladung italianità. 🙂
https://autosleben.com/2016/08/31/den-weg-ins-tessin-mit-italianita-wuerzen-spluegenpass/
Das tut zwischendurch einfach gut. Dazu mag ich die grossen Schlager der 60er und 70er aus Italien. Den Espresso gibt’s täglich mindestens zweimal. Das vermisse ich in Deutschland, absolute Kaffeewüste. 😀 Bzw. was die da als Kaffee bezeichnen ist eher die amerikanische Variante 😉
Löbliche Ausnahme: im Porsche Museum in Zuffenhausen gibt’s Espresso vom Feinsten!
Side Markers: da muss ich Dir absolut zustimmen, am V40 sehen sie echt gut aus. Meine Sidemarkers am Pontiac sind als zusätzliche Blinker geschaltet, da war der Vorbesitzer wohl sicherheitsorientiert. 🙂
Grüsse in den hohen Norden
Marc
Hey Marc,
wunderbarer Link zu deinem Beitrag! Gefällt mir echt klasse. Da ist es schon gut in der Alpenregion zu wohnen. Es ist ja wunderschön dort. Ich muss mir das auch mal ansehen…
Kaffeewüste? Kann angehen. Für mich ist so ein koffeinhaltiges Heißgetränk nichts. Mir schmeckt es nicht. Und ja – ich habe es schon probiert ;-). Ich mag auch keinen Kakao… Porsche-Museum steht bei mir auch noch einmal auf der Liste. Genauso wie das Mercedes-Museum.
Als zusätzliche Blinker finde ich sie gar nicht so schlecht. Ich glaube, dass das in Deutschland aber Ärger geben dürfte. Ich meine, dass es hier eine bestimmte Anzahl von Blinkern gibt, die nicht überschritten werden darf. Ursprünglich wollte ich bei Elsa hinten nämlich noch gelbe Blinker anbauen und durfte nicht… vielleicht auch gut so ;-).
Schöne Grüße in den bergigen Süden
Lars
Danke für deinen schönen Bericht! Der Spider war inzwischen fleißig und hat die Alpen besucht. Erst mit eine schöne Rallye Via Julia am Chiemsee beginnend, viel Geschichte am Obersalzberg, Kindheitserinnerungen am Großglockner, einen Schwenk in die Dolomiten, weiter Bozen und Meran über Tirol und Vorarlberg wieder zurück. Die Pässe muss ich nochmal zusammenzählen. Letztes Jahr war übrigens der Splügen mit dabei. Außer einem Keilriemen und Sprit hat der Spider nichts gebraucht. Vorher gab es ja ein neues Radlager auf dem Rückweg von der Nordsee und zu Hause noch neue Bremsscheiben und Beläge vorne. Im Herbst gehts dann ins Havelland…
Hey Christoph,
da hat der Spider ja schon wieder einige Kilometer abgerissen! Wie viele waren das bisher? Ich freu mich echt, dass der Wagen dafür genutzt wird, wofür er auch gebaut wurde. Zum Fahren. Aber ist ja auch ein schöner Reisewagen, wie ich festgestellt habe ;-).
Ich glaube, ich muss mich auch mal um meine „Alten“ kümmern, dass die so schön fahren. Wenn ich wieder Zeit habe.
Schöne Grüße
Lars
Danke für die Blumen. Die Alpen haben schon einiges zu bieten, wenn Du mal runterkommst hätte ich div. Tips für ein Nordlicht. 🙂
Euren Kaffee schmeckt mir auch nicht, versuche mal einen weiter südlich. 😀
Daimler wie Porsche sind beide einen Besuch wert. Aber ebenso die Herstellermuseen in Ingolstadt und München. Sowie diverse kleinere Oldiemuseen wie das in Tübingen zB.
Ich glaub die roten Rückleuchten meines Pontiacs wären bei Euch auch tabu.
Grüsse
Marc
Hey Marc,
Tipps sind immer gern gesehen! Fragt sich nur, wann ich reise. Und womit ;-).
Die Herstellermuseen möchte ich wirklich gerne einmal besuchen. Ich war noch nicht einmal im VW-Museum. Aber erst einmal stehen noch ein paar Museen in Hamburg an. Und einmal Oldtimer-Tankstelle mit dem eigenen Oldtimer ;-).
Rote Rückleuchten hat Elsa auch. Also… bei mir hat der Prüf-Ing nichts gesagt. Ich schätze mal, dass das je nach Baujahr abhängig ist. Elsa blinkt ja auch rot. Also hinten. Vorne und seitlich gelb 😉
Schöne Grüße
Lars
Hey Lars
Die Tips sind ja i.d.R. jahrelang gültig. Es gibt auf der schwäbischen Alb noch mindestens 1 sehr sehenswertes Oldiemuseum, muss aber mal nachfragen wo das war. In der SChweiz lohnt sich noch das Automuseum Romanshorn (nur Samstag/Sonntag!), das Verkehrshaus Luzern etc. 🙂
Oldtimer-Tanke in HH möchte ich auch mal 🙂
Rote Leuchten: gut möglich ja! Hab nur schon gehört, dass neuere Firebirds der 90er Jahre mit den originalen Rückleuchten bei Euch Probleme haben.
Grüsse aus dem Süden
Marc
Hey Marc,
ich habe gestern mal mit meinen Eltern darüber gesprochen. Meine Mutter war wohl tatsächlich mal in der Schweiz im Urlaub. „Das war schön da“. Also… eigentlich… ich müsste ja meist…
… ich werde mich melden, wenn es losgeht. In die Schweiz!
Schöne Grüße
Lars
Grüezi Lars (fangen wir gleich mit der Sprachschule an)
Das freut mich, dass Deiner Mutter der Aufenthalt im tiefen freien Süden gefallen hat. 🙂
Wir Schweizer sind eigenartig und anders, aber ich werde Dich gerne drauf vorbereiten. 😀
Melde Dich, sobald Du weisst, wann Dir wieviel Zeit ungefähr zur Verfügung steht. Unterstütze Dich dann gerne bei der Planung. Je nach dem was Dich interessiert (Geschichte, Natur, alte Städte, Automuseen, Händler etc.) stelle ich Dir gerne einen Vorschlag zusammen. Bin ja eidgenössisch diplomierter Tourismusfachmann. 🙂
en Schöne
Marc
PS: gerne dann mit Treffen, richtige Nordlichter sind hier selten 😀
Hey Marc,
sorry für die späte Antwort – aber den „Unterricht“ und die Tipps werde ich gerne einmal annehmen! 🙂 Treffen bekommen wir bestimmt hin. Mal sehen, ob es in diesem Jahr schon klappt.
Schöne Grüße
Lars