Oh, Sunny Day.
Jeder frönt irgendeinem Hobby. Es soll Spaß machen und irgendwie auch entspannen.Mein Hobby sind alte Autos. Eine Geschichte über einen ganz besonderen Sommerabend.
„Tobias! Tobias!“, seine Kehle kratzt meist ein wenig vom Schreien. Er rennt schnaufend über den gelbbraunen Sandweg, oben auf dem alten Deich. „Tobias, jetzt komm‘ doch endlic…!“ Seine Stimme bricht abrupt ab. Die Hacke seines linken Fußes rutscht weg. Ein Adrenalinstoß fährt durch seinen Körper. Sein Atem stockt kurz. Er balanciert sich gerade noch so aus. Für eine Sekunde bleibt er stehen. Er muss durchatmen. Kalter Schweiß steht auf seiner Stirn. „Tobias, jetzt schau doch mal!“ Er dreht sich zu seinem großen Bruder um, der ihm in ruhigen Schritten über den kleinen, alten Deich in St. Peter-Dorf folgt. „Schau mal da, ein alter Käfer!“ Er zeigt auf ein altes, beigefarbenes Auto mit runder Dachform, das langsam über die gepflasterte Straße vor dem Deich fährt. Die Reetdachhäuser lassen das sonore Brummen des Motors lauter wirken als es eigentlich ist.
Die Pflasterstraße rummelt unter Elsas Rädern. Ich trete die Kupplung, nehme den ersten Gang heraus, verpasse dem Motor einen kleinen Gasstoß und schalte dabei in den zweiten Gang. Hoch und aufrecht sitzt man in Elsa, meiner alten Schwedin. Ich habe das große, dünne Lenkrad in der Hand und steuere durch einen kleinen Slalom. Die Pylonen sind glotzende Touristen und langsame Fahrradfahrer. Ich steuere auf das Siel zu. Auf dem alten Deich rennt hastig ein kleiner Junge und ruft auf Elsa zeigend nach seinem Bruder, der am Smartphone spielend langsam hinterher trottet. Er wäre an diesem Freitag Abend bestimmt viel lieber zu Hause in der Disco anstatt mit seinen Eltern und seinem Bruder im Urlaub an der Nordsee. Voll öde. Elsas Röhren hallt zwischen den Betonmauern des alten Siels, als ich leicht beschleunigend auf die Teerstraße fahre. Ich muss grinsen. Die alte Dame rollt glänzend vorbei an weiteren, neugierig schauenden Touristen. Ich bin froh nicht in der Discothek zu sein, obwohl ich alleine im Auto sitze.
Aber nicht in irgendeinem Auto. Ich sitze am Steuer meines Traumautos.
Eine Mischung aus einem Schnattern und aus einem Röhren entfährt Elsa aus dem Auspuff, als wir St. Peter-Ording verlassen. Die lange Motorhaube streckt sich vor mir dem Horizont entgegen. Der goldbeigefarbene Lack, der auf Schwedisch „Gyllenbeige“ heißt, saugt die rotgelben Sonnenstrahlen auf und wirkt dadurch fast flüssig. Ich summe fröhlich ein Lied, wie ich es immer mache, wenn das Radio aus oder erst gar keines da ist. Wie bei Elsa. Vor sechzig Jahren war Motorsound genug Unterhaltung. Ich schaue in den Rückspiegel. Es ist niemand hinter mir. Ich nehme den Fuß vom Gas. Patschend und pfeifend rollt Elsa und erinnert mich (während sie an Geschwindigkeit verliert), dass ich noch einmal den Vergaser nachschauen muss. Irgendwas stimmt da nicht. Ich trete das Gaspedal wieder voll durch. Der Auspuff trällert mit mir zusammen. Er hört sich wieder an wie ein röhrender Elch, der eine schnatternde Ente auf dem Rücken trägt. Oder im Geweih, je nachdem, wie gemütlich es dortdrin ist.
Ich fühle über das Lammfell, dass den Beifahrersitz einhüllt. Die Sitze sind nicht wirklich verschlissen, aber ich wollte immer ein Auto mit Lammfellbezügen haben. Und mit Schmutzfängern. So wie Opas Lada Samara. Nach seinem Tod wohnte der weiße Dreitürer noch ein paar Wochen bei uns. Ich durfte mich bei dem Auto hinter das Steuer setzen und das erste Mal so wirklich Autofahren spielen. Der Passat meiner Eltern war immer tabu. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie sich die Lammfellbezüge in Opas Autos anfühlten. Ich war vier Jahre alt, als der Lada verkauft wurde. Aber sie fühlten sich wohl nicht wirklich anders an.
Die vier Trommelbremsen packen kräftig zu und hindern die alte Dame mit mir durchzugehen. Das Blinkerrelais piept leise, im Außenspiegel sehe ich es orange blinken. Die Seitenblinker sind eines der Merkmale, die zeigen, dass Elsa ihre meiste Zeit in Dänemark verbracht hat. Vielleicht sollte ich einfach mal auf einen HotDog in ihre alte Heimat fahren? Die Straße ist leer, die Sonne verabschiedet sich langsam hinter dem Deich. Meine Sonnenbrille wird langsam ein wenig zu dunkel. Ich klappe die alte Sonnenblende wieder hoch. Man sieht ihr an, dass sie seit sechzig Jahren ihren Dienst tut. Aber sie macht noch das, wofür sie gebaut wurde. Ich schaue in dem Innenraum herum. Sie ist nicht perfekt, meine Elsa. Aber genau das mag ich so an ihr. Innen sieht man ihr an, dass sie gelebt hat und von Menschen genutzt wurde. Eine Eigenschaft, die man Autos in einem Museum meist nicht zuschreiben kann. Der Innenhimmel ist geflickt, eine Türverkleidung wurde vor Jaaahren mit leicht anders gemustertem Stoff ausgebessert. Das Armaturenbrett hat ein paar Lackabplatzer. Zeitzeugen von sechzig Jahren Lebenszeit kann man nicht wiederherstellen. Ich drehe am großen Bakelitlenkrad vor mir, das nicht einmal wirklich Risse zeigt. Die patinierte Dame rollt auf einen kleinen Teerparkplatz. Die Sonne strahlt mit den letzten Zügen noch über den Deich und die Landschaft davor. Ich ziehe am Türgriff. Erst knackt es, dann schmatzt es. Dann lässt Elsa mich aussteigen. Der Lack auf ihrem Dach fühlt sich warm an. Es ist einer der letzten Sommertage im August. Der Motor pröppelt ruhig vor sich hin. Von weitem hört man ein paar Möwen lauthals lachen. Auch sie genießen diesen Abend.
Ich laufe zum namengebendem Heck meiner treuen, automobilen Freundin. Der Endtopf wackelt leicht, während der Motor vorne im Stand weiter läuft. Das erinnert mich an das weinrote Modell eines Buckelvolvos, dass ich von meinem Onkel mal zu Weihnachten bekam. Immer, wenn ich mal damit spielen durfte (und das war nicht zu oft, denn es war ja teuer und empfindlich), wackelte ich vorsichtig an dem Auspuff und machte Motorgeräusche, während ich es vorsichtig über den Teppich in der Wohnstube geschoben habe. Einen Spiegel und einen Scheibenwischer hat das Modell über die Jahre beim Staubwischen eingebüßt. Ein Glück ist Elsa ein wenig robuster gebaut. Ich fahre ihr zärtlich mit der Hand über den runden Rücken, während ich zurück nach vorne gehe. Wie früher mit dem Modell, dass ich immer noch einmal streichelte, wenn ich zu Bett musste und genug gespielt hatte. Durch das offene Fahrerfenster stelle ich den Motor ab. Auch Elsa hat sich eine Pause verdient.
Die Möwen schmeißen eine Party. Sie kreischen und lachen immer noch. Elsa tickt und knackt fröhlich, während sich ihr Motor langsam abkühlt. Ich hocke mich neben ihr auf den warmen, wenn auch rauen Teer, der an den Handflächen ein wenig wehtut, als ich mich abstütze. Es weht kein Wind, was hier an der Nordseeküste wirklich ungewöhnlich ist. Die Grashalme bewegen sich kaum. Ich schaue auf das Auto neben mir. Es ist relativ groß und relativ alt. Ich kann es nicht ganz glauben, dass der Wagen zu mir gehört. Am liebsten würde ich noch einmal auf den Fahrzeugschein schauen und meinen Namen dadrin zu lesen. Aber ich reiße mich zusammen, Elsa würde mich bestimmt auslachen. Aber wer weiß, was sie in ihren sechzig Lebensjahren schon alles für Peinlichkeiten anderer Leute erlebt hat? Zumindest hat sie bisher darüber geschwiegen. Sie weiß halt, was Anstand ist. Eine Grille zirpt leise ein „Gute-Nacht“-Lied, während sich die Sonne sich bettfertig macht und so langsam hinter dem Horizont verschwindet.
„Sie sehen aber zufrieden aus!“
Das Pärchen habe ich gar nicht kommen hören. Beide steigen von ihren Fahrrädern und nehmen ihre Helme ab, ich stehe auf (werde aber auch dadurch nicht viel größer) und sage beiden guten Tag. Elsa wird mit einem großen Respekt begutachtet. Beide halten mindestens einen Meter Abstand, die Frau stellt sich ein wenig auf die Zehenspitzen, um richtig in den Innenraum gucken zu können. Fast wie in einem Museum. Nicht die Mona-Lisa, nur die Volvo-Elsa (Ich hoffe, dass Elsa dieses „nur“ überliest…). Ich sage beiden, dass sie ruhig näher herangehen könnten. Es kommt keine Klugscheißerei, wie von einem Herrn auf dem Supermarktparkplatz vor einigen Monaten, der nicht verstand, dass wir vor meinem Auto standen. Es kommt überhaupt nicht viel. Keine Fragen, sie schauen nur. Nach einem Foto machen sie sich auf den Weg. Die Möwen kreischen weiterhin. Die letzten Worte, die ich vom sportlichen Paar verstehe, sind: „Das war aber ein toller Volvo.“ Elsa wirkt ein wenig rötlicher als sonst. Zumindest strahlt sie noch mehr mit ihren Chromstoßstangen und der Lack glänzt noch tiefer als üblich.
Ich greife nach dem leicht pickeligen Chrom des Türgriffs. Elsa lässt mich einsteigen. Auch sie möchte noch die letzten Sonnenstrahlen während der Fahrt auffangen. Ich drehe am ovalen Zündschlüssel, der Vierzylinder startet sofort und läuft nach zwei Gasstößen brav im Leerlauf. Ich binde mich mit dem statischem Sicherheitsgurt am gemütlichen Fahrersitz fest. Eigentlich möchte ich von dem eh nie aufstehen. Außer für Momente wie diesen. Ich lege den ersten Gang und löse die Handbremse. Die alte Dame rollt los und wendet tanzend mit mir auf dem Parkplatz. Ihr Motor schnurrt zufrieden. Zwei Möwen auf der Zufahrt jagt sie mit ihrer lauten Hupe weg. Eine Möwe lässt etwas fallen und trifft Elsa auf dem linken Kotflügel. Sie scheint es nicht zu stören. Sie scheint sich auf die nächste Schaum-Handwäsche zu freuen. Ich setze den Blinker und fahre auf die Landstraße. Der geradeverzahnte erste Gang singt ein fröhliches Lied. Ich mache mit. Der zweite Gang stimmt ein und wird bald darauf vom dritten und letzten Gang abgelöst. Elsa und ich improvisieren ein bisschen. Ich tippe mit meiner Hand gegen das große Lenkrad. Der Motor brummelt fröhlich unter der Haube, ich singe dazu mit meiner schiefen Stimme. Wir sind beide glücklich. Ich fahre sie gerne. Und wenn ich dafür sonntags um sieben aufstehe. Ich entscheide mich für einen kleinen Umweg.
Wer will sein Traumauto schon gerne verlassen?
Als seine Mutter ihn abends zu Bett bringt, erzählt er ihr stolz von dem alten Auto, dass er heute Abend noch beim Spaziergang zur Eisdiele mit Tobias gesehen habe. Er erzählt stolz von den blanken Radkappen und den großen, glänzenden Dingern vorne und hinten am Auto, die das Auto von Papa irgendwie gar nicht habe. Seine Mutter nickt nur, während sie ihn zudeckt. Das Auto hätte so eine runde Form gehabt, es wäre bestimmt ein Käfer gewesen. So einer wie Herbie. Ob das Auto wohl auch sprechen könne? Er hört nicht auf zu erzählen, dieses Mal ist ihm auch der Kuss auf die Stirn von seiner Mutter egal, den er sonst immer so eklig findet. „Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal so ein altes Auto haben.“ – „Die gibt es dann wohl nicht mehr. Schlaf nun schön!“ Seine Mutter wünscht ihm noch einmal eine gute Nacht, während sie das Licht ausmacht und die Tür hinter sich schließt. Dieses Mal stört ihn auch nicht, dass Tobias länger aufbleiben dürfte, obwohl er nur ein paar Jahre älter ist. Er kuschelt sich in das weiche Kopfkissen, das immer noch nach einer Mischung aus Waschmittel und Nordseeluft riecht. Und er ist sich doch sicher, dass er irgendwann auch mal so ein altes und sprechendes Auto haben wird. Zufrieden schläft er ein und erträumt sich seine Zukunft.
Mit einem altem Auto.
genau solche Gedanken kommen mir auch oft, aber Du hast es verstanden sie zu Papier zu bringen bzw. natürlich neumodisch online zu schalten. 🙂
Dann bedanke ich mich mal für den Kommentar, Herr Rudin! 🙂 Ich bin gespannt, ob es dir mit deinem neuen Skoda auch so gehen wird.
Schöne Grüße
Lars
Da bin ich ebenfalls sehr gespannt! Da ich auch genug extrovertiert bin, werde ich meine Gedanken mit der Anschnurwelt teilen 😀
Übrigens ganz guter Artikel über Dich im Hamburger Alttautoblättchen. 🙂 Irgendwann suche ich Dich heim an der Eismeerküste. Mal live quatschen statt immer nur in die Tasten zu hauen. Mal sehen, was heute Abend mein Töchterchen zu Deinem Artikel meint. 😀
Freut mich sehr, dass dir der Artikel gefallen hat! 🙂 Gerne kannst du einmal vorbeikommen. Bist immer herzlich gerne einladen – auch ruhig mit deinem Töchterchen. Ich hoffe, sie hat nach dem Anblick meines Gesichts kein Trauma davon getragen ;-).
Schöne Grüße
Lars
Hallo Lars,
Super geschrieben. Mir gehts genau auch so. Und wenn ich auch noch in meinen Oldtimer oder Youngtimer mein Lieblingssender über DAB+-Autoradio oder versteckt in einem Oldtimer mit DAB+-Box, geht es mit sehr gut . Noch kommt dazu, dass ich mir gewisse Musiksendungen aufnehme, also programmiere, und danach via Computer eine eigene CD brenne, fürs Auto mit lustigen Cover.
Ich lese Deine Beiträge von Dir auf Deiner Homepage gerne. Weiter so.
Freut mich sehr, Jean-Pierre! 🙂
Hast du denn ein CD-Radio in jedem Auto? Oder nutzt du auch USB-Radios? Elsa hat in ihren sechzig Jahren noch nie ein Radio gehabt, Henkelmännchen hat das originale Volkswagen-Braunschweig-Radio 🙂
Schöne Grüße
Lars
Hallo Lars,
Danke für den Kommentar. In den 2 Ford Taunus 17 m P 3 und P 5 haben ein Pioneer Kassettenrsdio.
gerne Lars, auf das Angebot komme ich zu gegebener Zeit zurück.
Nein im Gegenteil, sie fand den Artikel wohl recht erheiternd. Es ist ein Mensch und ein lustiges Auto zu sehen. 😉
Na, dann bin ich ja beruhigt! Hatte mir schon Sorgen gemacht 😉
SEHR schön geschrieben Lars!
Ich nehme meine Kinder immer gerne mit auf „Tour“ !
Meistens sind die aber bereits nach 15min pickelfest eingeschlafen.
Der Klang des Vierzylinder Boxers ist eben doch sehr beruhigend.Auch für mich !
Mir geht es da wie Dir. Am Lenker seines Traumautos ist es doch am schönsten !
Lg Ben
Hey Ben,
freut mich sehr, dass dir auch dieser Beitrag gefällt!
Wohin macht ihr denn solche Ausflüge? Und freuen sich deine Kinder auch schon immer auf Käfer-Touren?
Schöne Grüße
Lars
Hallo Lars.
Hauptsächlich sind wir rund um Hessen unterwegs.
Aber meist nicht länger als ein halber Tag mit Eispausen etc.
Sonst werden die Mädels halt doch etwas unruhig 🙂
MfG Ben