Freundschaft feiern.
Er ist nicht alt. Er ist nicht schnell. Er ist nicht wertvoll. Eigentlich brauche ich ihn nicht.Warum ich an einem „alten“, schwarzen Volvo Kombi festhalte und ihn nicht verkaufe.
Die Regentropfen werden langsam kleiner. Ich kann die Scheibenwischer eine Stufe herunterstellen. Das alte Kopfsteinpflaster lässt das Auto merkbar (aber nicht hörbar) schaukeln. Es klappert nichts, es quietscht nichts. Im Radio läuft leise etwas Musik. Ray Charles singt etwas über eine „Lonely Avenue“. Arnis ist die kleinste Stadt Deutschlands, aber auch bei Mistwetter richtig hübsch. Trotzdem sind die Straßen wunderbar leer. Die Touristen finden es bei Regen wohl nicht so schön durch die kleine Stadt an dem Ostseefjord zu laufen. Obwohl es sich auch bei Regen lohnt. Ich möchte die Schlei per Fähre überqueren. Ruhig rolle im zweiten Gang ich durch die engen Gassen. Der Wackeldackel auf der Hutablage kommt so langsam ins Schwitzen. Der Plüschelch lümmelt sich grinsend daneben.
Eigentlich war der Kauf eine Kompromisslösung. Ich träumte immer von einem viel älteren Volvo als erstes Auto. Einer Amazon. Ich schaute mir damals sogar eine an. In blau, stark patiniert, aber fahrbereit und mit HU. Mein Vater war dabei. „Wir überlegen uns es noch einmal“, sagte er bei der Verabschiedung zum Verkäufer. Und ich wusste – mit einem „Oldtimer“ als erstes Auto kann es nichts werden. Am Abend erzählten mir meine besorgten Eltern über Airbags, eine hohe Unfallrate bei Fahranfängern, Gurte, Kopfstützen und auch von unverschuldeteten Unfällen und Rostschäden durch Salz in ihrer Autofahrervergangenheit. Ich könnte doch auch bald das Cabrio fahren – und sie würden mir ihren silbernen Golf 5 Variant TDI für einen echt günstigen Preis überlassen. Dass das mit den Oldtimern nicht klappen sollte, konnte ich akzeptieren. Aber nicht DEN Wagen als MEIN erstes Auto.
„Gut!“, sagte ich an dem Abend am Stubentisch „Wenn schon kein Oldtimer, dann kauf ich einen V40!“
Mit dem Gedanken einen V40 zu besitzen konnte ich mich durchaus anfreuden. Einen Kleinwagen wollte ich auf keinen Fall und auch garantiert nicht den Golf Kombi meiner Eltern. Schon gar nicht in silber. Und nicht als Trendline. Der V40 war unter den „modernen“ Volvos immer mein Liebling. Ich mochte die fließende Form und schaute schon jahrelang jedem V40 hinterher. „Muss es denn unbedingt ein Volvo sein?“, fragten meine Eltern. Ich erzählte von SIPS, WHIPS, Inflatable Curtain, Airbags und dass mein Onkel ja schon jahrelang zufrieden mit seinen Volvos durch die Gegend fuhr. Außerdem noch von einer wahrscheinlich günstigeren Versicherung und wahrscheinlich bisher hohem Wertverlust, sodass sich ein guter Wagen wohl relativ günstig finden lassen sollte.
Es überzeugte. Das war vor sechs Jahren. Die Suche begann.
Ich trete auf die Bremse. Der Wagen kommt zum Stehen. Zum Glück, sonst würden wir in der Schlei landen. Die Fähre ist gerade am anderen Ufer. Ich stelle den Wagen ab, Ray Charles verstummt und ich steige für einen Moment aus. Die Tür fällt hinter mir satt ins Schloss. Nur das Kleingeld in der Seitentasche der Tür klappert ein wenig. Es nieselt noch leicht. Mir ist es egal. Ich laufe ein paar Meter in Richtung Anleger. Ein paar Radfahrer, entweder durchnässt oder gekleidet in bunten Regenklamotten, stehen vor dem Anleger und warten ebenfalls.
Am Tag der Besichtigung und des Kaufs schien die Sonne, ich weiß es noch. Ganz nervös war ich, als mein Vater den damals nagelneuen Passat auf den Hof des VOLVO-Autohauses lenkte. Mein Onkel, der mit seinen Händler-Kontakten den V40 finden ließ, wartete schon auf uns. Der erste Kontakt war besonders. Der Wagen wurde vom Verkäufer in die „Annahme“ gefahren und dort auf die Bühne gestellt. Während wir uns den Wagen anschauten, erzählte uns der Verkäufer ein paar Daten zu dem Wagen. Er wäre aus erster Hand, hatte knapp über 91 000 Kilometer gelaufen, war neun Jahre alt und hatte 2004 mal einen Unfall mit 3000€ Schaden. Wir fanden, bis auf ein paar Steinschläge und Kratzer, nichts zu beanstanden und gingen auf eine Probefahrt, auch dort gab es nichts zu meckern. Ich kam, sah und kaufte. Das war 2012. Vor fünf Jahren.
Mit einem leichten Klappern legt die kleine Fähre an. Ich starte den Motor und rolle über die ungemütliche Rampe bis an das andere Ende der Fähre. Es ist wirklich schön hier. Ich entscheide mich mal dazu, meine Basis-Fotoausrüstung mitzunehmen und erneut hierher zu fahren. Vielleicht auch mal bei Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Erneut verlasse ich den Wagen und lehne mich gegen die Motorhaube. Ein Radfahrer erklärt neben mir seiner genervten und durchnässten Teenager-Tochter das Funktionsprinzip der Fähre. Sie scheint keine Meinung vom „Radwanderurlaub“ bei dem Wetter zu haben. Oder kein Interesse an der Fähre. Die Rentner aus dem neuen Mercedes SL hinter mir sind nicht ausgestiegen. Sie meckern immer noch über die vier Euro für die Überfahrt. Ich bin glücklich, dass ich meinen Volvo vor einem Jahr nicht verkauft habe.
Er begleitete mich ja treu. Die ersten dreieinhalb Jahre. Ich fuhr mit ihm zur Schule, auf Partys, zu Tanzturnieren, zur Besichtung eines alten, rostigen Volvos, in meinen ersten richtigen (und bisher auch letzten) Urlaub nach Kopenhagen und durch einsame Straßen Schleswig-Holsteins. Er begleitete mich auch zu Beerdigungen und half mir durch eine Zeit, in der es mir nicht so wirklich gut ging. Am liebsten waren (und sind) mir immer die Fahrten in den Sonnenuntergang gewesen. Ganz egal, ob alleine oder im vollbesetzten Auto. Das Radio spielte immer, die Kehlen wurden heiser gesungen und nicht immer hatten wir ein Ziel. Ich schrieb schon ein paar Mal drüber. Manchmal fuhren wir so lange, bis die Sonne wieder aufging.
Die Fähre hat angelegt. Ich lasse die Radfahrer vorfahren, starte den Motor meines Volvos, der bei uns schnell den Namen „Elch“ bekam, lege einen Gang ein und fahre weiter in Richtung „Schleswig-Holsteinisches Hügelland.“ Nicht immer lief es so gut. Nach dreieinhalb Jahre in meinem Besitz wurde er kränklich. Er mochte Hamburg wohl nicht mehr besonders. Die ersten neun Jahre dort haben ihm wohl gereicht. Erst sorgte ein kaputter Blinkerhebel für unfreiwillige Blinkeinlagen. Dann gingen die Zündspulen kaputt, mit Ihnen verbrannten die neuen Zündkerzen schneller als sie sollten. Irgendwann blieb ich mit einer kaputten Benzinpumpe im Hamburger Berufsverkehr stehen. Das Ende vom Alltag. Mir gefiehl das Leben in Hamburg nicht, wurde Pendler und kaufte mir einen Diesel für den Alltag. Ausgerechnet einen Golf Kombi.
Gemütlich fahre ich über die leeren Landstraßen Schwansens. Den Komfort des Autos habe ich immer am meisten genossen. Ruhig von innen, gemütliche Ledersitze, ein schönes Lederlenkrad und ein Fahrwerk, dass für sportliches Fahren zu weich, aber für einen plötzlichen Ausbruch von Seekrankheit zu hart ist. Kurz hatte ich überlegt, mich von dem Wagen zu trennen. Aber wo findet man für einen 14 Jahre alten Kombi noch pflegende Hände? Genau. Nirgendwo. Nach dem Herzblut, das ich in die Pflege und Erhaltung des Autos gesteckt habe, wollte ich ihn nicht runtergerockt wissen. Und die 1200€, die ich vielleicht noch bekommen würde, wären es mir auch nicht wert gewesen. Und so behielt ich ihn. Als Sonntagsauto. Und als Auto, um nach einem stressigen Pendeltag nochmal eine Runde zu drehen. Mit Musik im Radio und auf den Lippen und dabei langsam zu entspannen.
Ich stelle den Motor erneut ab. Ein Zug möchte über die Klappbrücke Lindaunis. Der hat nun einmal Vorfahrt. Und mit einem Zug möchte ich mich anlegen. Ich streichle über das Lederlenkrad, wie ich es oft getan habe die letzten Jahre. Inzwischen zeigt der Kilometerzähler knapp über 170 000 Kilometer an. Fast 80 000 Kilometer haben wir in den letzten fünf Jahren miteinander erfahren. Schöne Zeiten, schlechte Zeiten. Es ist für mich nicht nur ein Auto. Es ist ein Kumpel. Ein guter Kumpel. Ich muss kurz debil grinsen, als ich in meinem Auto herumgucke und mich dran erinnere, wie stolz ich auf das Auto war, als es sogar vom Händler nach Hause geliefert wurde. Und dass sich in den fünf Jahren eigentlich nichts geändert hat. Er ist mir ans Herz gewachsen.
Vernünftig wäre es, den Wagen zu verkaufen. Das „Aufheben“ wird sich finanziell niemals lohnen.
Aber was ist schon Vernunft?
Hallo Lars,
Sehr schöner Bericht.
Wem geht es nicht auch so wegen seinem Liebhaberstück.
Mein Ford Scorpio 2.0 i GLX Kombi, Jg. 1992, kaufte ich im April 2006 für CHF und den habe ich immer noch.
Damals 139‘000 km inzwischen 177‘000 km.
Den Ford Mondeo Kombi, GHIA, V 6, 5-Gang, Jg. 1995 kaufte ich 2010 mit 145‘000 km, und jetzt inzwischen
174’000 km.
Inzwischen werden beide nicht mehr jeden Tag gefahren, nur im Sommer bei schönem Wetter.
Gruss aus der heissen Schweiz.
Jean-Pierre
Hallo Lars
Sehr schöner Bericht.
Wem geht es nicht auch so wegen seinem Liebhaberstück.
Mein Ford Scorpio 2.0 i GLX Kombi, Jg. 1992, kaufte ich im April 2006 für CHF und den habe ich immer noch.
Damals 139‘000 km inzwischen 177‘000 km.
Den Ford Mondeo Kombi, GHIA, V 6, 5-Gang, Jg. 1995 kaufte ich 2010 mit 145‘000 km, und jetzt inzwischen
174’000 km.
Inzwischen werden beide nicht mehr jeden Tag gefahren, nur im Sommer bei schönem Wetter.
Gruss aus der heissen Schweiz
Jean-Pierre
Hallo Jean-Pierre!
Vielen Dank! Ja, „Liebhaberstück“ hängt halt auch im Auge des Betrachters. Das muss nicht immer ein Mercedes SL oder ein Porsche sein. Du pflegst deine Autos ja auch immer so toll. Es gibt nicht viele Leute, die einen 1995er Ford Mondeo Turnier aufheben. Noch sieht man ja richtig häufig, wie die verschrottet werden. Ich mag sie ja. Die sind so schön plüschig.
Pfleg sie weiterhin gut! Aber das wirst du ja eh machen 😉
Schöne Grüße
Lars
Hallo Lars,
Danke vielmals für den netten Kommentar.
Gruss
Jean-Pierre
Sehr gerne! 🙂