Elsa geht schwimmen.
Briefe, E-Mails, SMS, Whatsapp-Nachrichten, Telefonieren, Rauchzeichen, Morsecode.Es gibt viele Wege zu kommunizieren. Wir sind von der Küste, wir machen das anders.
Die Nordsee liegt vor uns. Die Sonne bereitet sich gerade auf das Untergehen vor, sie spiegelt sich in der fast ganz stillen Nordsee. Ich vermisse den Wind etwas, der mir sonst die Salzluft um die Nase weht, aber ich möchte mich auch nicht beschweren. Es ist trotzdem noch angenehm mild. Man kann gar keine Möwen kreischen hören, auch Autos und andere Menschen hört man nicht, obwohl die Urlaubssaison eigentlich gerade noch in den letzten Zügen liegt. Die Nordsee ist heute friedlich und zahm. Ich schaue über das Geländer des Eidersperrwerks. Hier soll es also gleich passieren. Elsa soll baden gehen.
„Hast du eigentlich schon mal eine Flaschenpost verschickt?“ Die Flasche in dem Sonderpostenmarkt sah so aus, wie man sich eine typische Flaschenpost-Flasche vorstellt. Aus Glas, rundlich und mit einem Korken verschlossen. „Nein, aber ich wollte immer mal…“ war die Antwort. Und die Flasche schrieb sich von ganz alleine auf die Einkaufsliste. Auch ich hatte noch nie eine Flaschenpost verschickt. Auch noch nie eine gefunden. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der vor über 40 Jahren einmal eine Flaschenpost fand, dem Absender ein paar Briefe schrieb und ihn zwei Mal in den Niederlanden besuchte. Uns war klar – wir wollten Elsa auf eine große Reise schicken. Nur in die Flasche passte sie nicht wirklich – so sehr sie sich auch anstrengte. Also wurde es ein Bild von ihr. Ein kleiner Brief wurde auch noch schnell geschrieben (Der Inhalt ist aber für den Finder – vielleicht wird es ja auch einer von euch?) und es ging an die nächste Aufgabe. Es wasserdicht zu bekommen.
Ich habe die Flaschenpost ja eigentlich immer eher für einen Scherz gehalten. So wie die Luftballons mit den Karten dran, von denen ich als Kind auch so einige verschickt habe, aber nie eine Antwort darauf bekam. Auch da habe ich nie einen gefunden. Dabei ist meine Brille doch eigentlich immer sauber… Die Flaschenpost hingegen ist eigentlich kein Scherz. Im Gegenteil. Früher wurden die Buddelnachrichten von Schiffbrüchigen verschickt, die sich noch Hilfe erhofft haben. Laut Wikipedia verschickten die Bewohner der Westmännerinseln ihre Post auch per Wasserweg nach Island, um sie dort (mit der Bezahlung von etwas beigefügtem Tabak) an den richtigen Empfänger weiterschicken zu lassen. Heute wird die Flaschenpost eher noch zum Spaß und zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt. Um die Meeresströmung zu berechnen, zum Beispiel.
Der Korken steckte, doch so ganz vertrauten wir ihm nicht. Die älteste Flaschenpost bisher war übrigens 101 Jahre unterwegs! 1913 wurde sie losgeschickt, überlebte zwei Weltkriege und allerlei Umwelteinflüsse und gelangte dem Fischer Konrad Fischer bei Kiel 2014 ins Netz. Hier könnt ihr von der Geschichte der Flaschenpost bei der shz nachlesen: Fischer fängt 101 Jahre alte Flaschenpost. Die war anscheinend gut versiegelt, denn sie ist weder vollgelaufen noch gesunken. Genau unser Ziel. Wir wollten die Nordsee ja schließlich als Transportmedium für unsere Nachricht verwenden und nicht einfach für noch mehr Müll im Meer sorgen. Eine alte Adventskerze spendete tropfend ihr Wachs, von dem das meiste über meine Finger und den Flaschenhals lief. Vielleicht schaffen wir ja nicht ganz 101 Jahre – vielleicht findet sie ja auch nie einer. Die Generalprobe in der vollgelaufenen Schubkarre überstand unser Korken-Wachsverschluss aber mit Bravour. Fertig zum Anbaden!
Also.. äh.. fast. Wir stehen oben auf dem Eidersperrwerk und schauen auf die Sonne. Ein Pärchen läuft an uns vorbei, sie räuspert sich komisch. Wahrscheinlich hätte sie auch gerne eine Flaschenpost verschickt. Die Nordsee hat so Anwandlungen, dass sie zwei Mal am Tag verschwindet – aber (vielleicht hat sie ja Heimweh) auch zwei Mal am Tag wieder zurückkehrt. Vor dem Hochwasser eine Flaschenpost in das Meer zu werfen macht nicht so wenig Sinn. Da läuft das Wasser ja in Richtung Ufer, wenn man Pech hat, ist die Flaschenpost schneller vor den Füßen als man bis drei zählen kann. Hochwasser ist vorbei. Wirklich Strömung ist nicht, die Nordsee ist ein wenig müde heute. Vielleicht macht sie auch einmal Urlaub. Elsa wartet unten auf dem Parkplatz und freut sich darauf, dass ein Bild von ihr auf Reisen gehen darf. Die Strömung sollte trotzdem reichen, die Flasche raus auf das Meer zu treiben. Wir sind beide gespannt. Wer die wohl einmal finden wird? Wird sie überhaupt gefunden?
Meine sympathische Beifahrerin schaut ebenfalls über das Geländer. „Ich will nicht werfen!“ Unten liegen Wellenbrecher und große Betonklötze. Die zu treffen wäre nicht so schön, dann wäre die Reise für unsere kleine Flasche schon vorbei. Es gibt kein Zurück mehr – wie auch für so viele Wattenläufer, die sich tagtäglich da draußen verirren und gerettet werden müssen. Die Flasche fliegt im hohen Bogen über das Geländer und dreht sich ein paar Mal. Ich mache Fotos. Mir kommt sofort das Lied „I believe I can fly“ in den Kopf, aber ich unterdrücke es mir, das Lied laut loszuträllern. Es sind einige Meter, die die Flasche zurücklegt, bevor sie platschend ins Wasser fällt. Hier beginnt also nun die Reise unserer kleinen Nachricht. Wir sind gespannt, ob sie jemals irgendwo ankommen wird und ob wir eine Rückmeldung bekommen. Geld für das Porto haben wir nicht mit hineingesteckt, aber wir haben auch eine E-Mail-Adresse und die Facebook-Seite von Watt’n Schrauber mit angegeben. Wir schauen noch den Kreisen nach, die die Wellen der Flasche ziehen. Die Flasche selbst können wir nicht erkennen. Vielleicht ist ihre Reise trotzdem hier schon vorbei, weil sie zu schwer war.
Wir gehen runter zu Elsa. Die alte Dame wartet freudig glänzend auf uns. Ein Wohnmobilfahrer gibt uns noch den Daumen hoch, als wir tuckernd wieder in Richtung Heimat aufbrechen. Die Sonne verschwindet gerade hinter dem Deich, auf dem das Pärchen von vorhin noch sitzt. Wir reden ganz aufgeregt darüber, ob wir wohl eine Antwort bekommen werden. Wann und von wem? Vielleicht ja auch gar nicht? Wir entscheiden uns dazu jedes Jahr eine Flaschenpost zu verschicken. Elsa fährt röhrend durch den Tunnel des Eidersperrwerks. Dithmarschen hat uns wieder, zuhause wartet schon ein glühender Grill mit allerlei Köstlichkeiten.
Eine Whatsapp-Nachricht, eine E-Mail oder ein Anruf mögen zur Kommunikation vielleicht effektiver sein. Aber eine Flaschenpost bringt viel mehr Spaß. Und hat irgendwie einen kleinen Hauch von Abenteuer.
Und so ein bisschen Abenteuer… das tut immer gut.
Hoffentlich gibt es ein Feedback…
Da bin ich auch gespannt, Christoph! Fragt sich natürlich nur, wann es das Feedback gibt 😉